Die Kakadu-Identität

Sascha Lobo, Strohfeuer, Rowohlt Berlin 2010, 18,95€
Vielleicht ist es Ironie. Der Umschlag des Buches ist himmelblau und das untere Drittel nimmt ein Foto der Haare des Autors ein. Die sind rot und stehen nach oben hin ab. Und drüber steht der Titel des Buches. Strohfeuer. Und noch weiter oben steht der Name des Autors, dahinter ein Doppelpunkt. Was auch immer der da macht. Auf jeden Fall scheint die gedankliche Verbindung des Titels mit der optischen Erscheinung des Frisursurrogats beabsichtigt. Und vielleicht soll der Doppelpunkt auch den Autorennamen in diese Beziehung mit aufnehmen. So daß dann das Phänomen Sascha Lobo insgesamt mit dem Begriff Strohfeuer und seinen Assoziationen in Verbindung gesetzt würde. Vielleicht ist das Ironie.
Auf jeden Fall aber ist es Teil einer breit angelegten Corporate Identity. Die Coverfrisur stimmt mit dem Autorenbild der Umschlagklappe überein, ebenso mit dem Profilbild des Lobo’schen Twitteraccounts. Seine Website weist ebenso dezent auf die Existenz des Buches hin wie dem Vernehmen nach auch des Autors Automobil. Dagegen spricht nicht das Geringste. Aber es sorgt nicht unbedingt dafür, daß die Wahrnehmung des Lesers von der Person des Autors weg, hin zur Romanhandlung und den handelnden Figuren gelenkt wird. Weil, wenn der Kopf des Autors – oder markante und wiedererkennbare Teile desselben – auf dem Buchumschlag zu sehen sind, kaum jemand von einem rein fiktionalen Werk ausgehen wird. Zumal dann, wenn sich Motive der – im Fall Lobo ebenfalls gern kommunizierten – Lebensgeschichte mit dem Buch in Einklang bringen lassen. Trotzdem klagt Lobo der taz sein Leid über schlechte Kritiken allgemein und die Gleichsetzung des Protagonisten mit dem Autor – oder eben wiederum mit dessen öffentlicher Kunstfigur. Aber ach! Daß Autor und Icherzähler nicht identisch sind (noch nicht einmal in autobiographischen Texten, aber das gehört nicht hierher) weiß eigentlich jeder, der Bücher bespricht. Daß andererseits der Autor auf dem Cover die Fiktionalität in Zweifel ziehen kann und außerdem die Neugier auf echte Kolportage häufig größer ist als diejenige auf gut Ausgedachtes, ist ebenso naheliegend.
Wie dem auch sei. Worum gehts? Der Protagonist lernt zur Jahrtausendwende einen großfressigen Werbefritzen kennen, der in Neue Medien macht, macht kurze Zeit später mit diesem und Anderen eine Werbeagentur auf und eine Dotcomblase später pleite. Zwischendurch bescheißt man gemeinsam Kunden und eigenständig einander, man stellt Personal ein, das man später loswerden muß, man schafft technisches Gerät an, daß man später dem Insolvenzverwalter abluchst und man lebt leidlich promiskuitiv durch die Gegend. Das mag den Zeitgeist und das Lebensgefühl der beschriebenen Zeit treffen, aber es ist über weite Strecken nicht nennenswert spannender als Marienhof. Und das ist genau die Sache mit der erwähnten Klage des Autors über die viele Kritik. Es mag sein, daß der durchschnittliche Feuilletonredakteur von Lobo und dem, was er sagt und wie er es sagt, herzlich genervt ist. Und es mag auch Kritiken geben, die die Kunstfigur Lobo und ihr Gehabe kritisieren, und deren mediales Auftreten auf das Buch, seine Handlung und seine Figuren projizieren. Das schließt aber eben nicht aus, daß auch berechtigte, weil eben auf die literarische Qualität sich beziehende Kritik gibt.
Oft zitiert, zu Lobos Vor- wie Nachteil, wird eine Szene des ersten Kapitels, die sprachlich und inhaltlich tatsächlich unbeholfen bis lächerlich ist:

Die beiden verschwitzten Girls umarmten sich und versanken in einem Zungenkuss. Ich drückte mich dazu, als schon ein paar feuchte Kleidungsstücke auf dem Boden lagen, und wurde ohne größeren Widerwillen aufgenommen. Wir gerieten ins Vögeln.

Das ist so weit jenseits der Albernheitsgrenze, daß man sich immer wieder fragt, ob das wirklich ernst gemeint sein kann. Oder ob bereits durch die Sprache des Icherzählers dessen mentale und moralische Unzulänglichkeit entlarvt werden soll. Wie es die Figurenrede in jedem Fall tut, beispielsweise nur wenige Zeilen später:

„Fuck!“, sagte ich.
„Allerdings!“, sagte Sandra.

Man muß Sascha Lobo nichts Böses wollen, um den Roman für literarisch mittelmäßig zu halten. Man muß auch nicht davon ausgehen, daß es sich um einen Schlüsselroman handle. Man muß ihm aber auch keinen Welpenschutz gewähren, weil das ja schließlich sein erster Roman sei. Wenn man es als Literatur, als Belletristik liest, dann wird man kaum umhin können, stilistische Unebenheiten festzustellen, die meisten Figuren für Pappkameraden ohne erkennbare Charakterzüge zu halten und vor allem auch bei den wichtigsten Protagonisten das Fehlen von Charakterentwicklung und Tiefenschärfe zu vermissen.
Vielleicht ist das Absicht, vielleicht will der Autor uns die Figuren nicht als empathisch nachempfindbare Personen erscheinen lassen, sondern als charakterlose, oberflächliche Pappnasen. Indem es dem Leser greifbare, plastische Figuren vorenthält, bietet das Buch sich vielleicht zum schnell weglesen, kaum aber zum Wiederlesen an.
Vielleicht ist es aber auch Ironie.