Die Gelehrtenrepublik, Fischer TB, 16,90 DM
1957, mitten im kalten Krieg, veröffentlichte Arno Schmidt “Die Gelehrtenrepublik”, einen “Kurzroman aus den Roßbreiten”, der im Jahre 2008 spielt – nach dem Atomkrieg, in dem sowohl Europa als auch weite Teile Nordamerikas vollständig zerstört wurden. Der Journalist Charles Henry Winer erhält die Genehmigung, in den gesperrten Abschnitt, den sogenannten Hominidenstreifen, einzureisen. Dort haben sich inzwischen verschiedene Mutationen zwischen Mensch, Pferd und Insekten gebildet; sogenannte Hexapoden, also Sechsbeiner, von denen es drei Arten gibt: Zentauren (die Männchen haben sogar ein Horn), bösartige, spinnenförmige “Never-Nevers” und “Fliegende Masken”, Schmetterlinge mit menschlichem Kopf. Winer erlebt hier eine Schlacht gegen Never-Nevers sowie erotische Abenteuer mit einer blutjungen Zentaurin, was aber, wie er sich nach seiner Rückkehr zum Militärstützpunkt an der Grenze versichern lässt, nicht als Sodomie gewertet wird. In den letzten zwei Dritteln des Buchs besucht er dann die Gelehrtenrepublik IRAS (”International Republic of Artists and Scientists”), eine von allen acht Großmächten gemeinsam verwaltete schwimmende Insel. Dort sind die größten Künstler und Wissenschaftler aus allen Teilen der Erde untergebracht worden, um ihnen optimale Arbeitsbedingungen und Schutz vor Kriegen zu gewähren. Schon bald nach seiner Ankunft muß Winer jedoch feststellen, dass die Insel keineswegs neutrales Territorium ist, sondern de facto in zwei Hälften, einen östlichen, in dem z.B. Romane vom “Kombinat 8″ verfaßt werden, und einen westlichen, bzw. hier “Backbord” und “Steuerbord”, zerfällt, die dementsprechend gegeneinander intrigieren – der Konflikt lässt also nicht einmal dieses Refugium des Geistes unberührt. Winers Bericht wird dann auch als so brisant eingestuft, dass es nur in eine tote Sprache, hier Deutsch, übersetzt erscheinen darf. Die Erlebnisse des Journalisten werden in der für Arno Schmidt typischen eigenwilligen Ortographie und Interpunktion wiedergegeben, die hier kein möchtegern-avantgardistischer Spleen sind, sondern, ähnlich wie bei James Joyce im “Ulysses”, das Bewußtsein nachbilden sollen. Die launischen Kommentare Winers werden dazu noch durch die Fußnoten des Übersetzers, eines “Restdeutschen” – ein pensionierter Studienrat, der zum Zeitpunkt der Zerstörung Europas im Ausland weilte und schreibt wie ein Vertriebenenfunktionär (”hat noch keinem geschadet” etc.) – konterkariert. So ist dieser Science-Fiction-Roman ein sarkastisches Statement zum Ost-West-Konflikt mit zahlreichen Seitenhieben gegen Adenauer-Deutschland und gegen alles Militärische, bei dem einem auch heute noch manchmal das Lachen im Halse stecken bleiben kann.