“Wir sind ermächtigt zu erklären, daß diese Neuigkeit jeder Grundlage entbehrt.”

Gustave Flaubert, Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit, Eichborn, 36,90 €
Nachdem uns der Herausgeber und Übersetzer Hanst-Horst Henschen im letzten Jahr schon Flauberts ‘Bouvard und Pécuchet’ beschert hat, erfreut er uns nun mit einem 730 Seiten starken Wälzer, der ‘Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit’. Es handelt sich hierbei um die Vorarbeit für eine Fortsetzung von ‘Bouvard und Pécuchet’, und es findet sich darin kaum ein Satz, der von Flaubert selbst stammt. Versammelt sind hier vielmehr die dämlichsten und albernsten Zitate, die ihm in jahrelanger Lektüre untergekommen sind und mit Hilfe derer man ihre Urheber zumindest lächerlich machen, im besten Falle aber in all ihrer mentalen Debilität entlarven kann. Dieser Kunstgriff findet bis heute rege Verwendung in Kabarett und Kommedie, in Politik und Polemik (wobei die Grenzen hier grundsätzlich verschwimmen). Und wahrlich, es gibt kaum eine simplere und zugleich wirksamere Methode, den verbalen und veröffentlichten Humbug anderer augenfällig zu machen, als ihn schlicht und einfach zu wiederholen. Und so führt Flaubert Werbung für Toiletten-Essig der unbefleckten Empfängnis ins Feld oder auch die interessante Behauptung, Das Opium sei das Lieblingsgetränk der Orientalen. Ein Genuß ist es, einfach zu blättern und sich durch den zutagetretenden Unsinn erfreuen oder -schrecken zu lassen.

“Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen.” (Faust, V. 97)

Frank Goosen, Mein Ich und sein Leben, Eichborn, 18,90 €
Frank Goosen (Hg.), Fritz Walter, Kaiser Franz und wir, 16,95 €

Als Bochumer fühle ich mich berechtigt, Frank Goosen als ‘der Dicke von Tresenlesen’ zu bezeichnen. Mit seinem ehemaligen Partner Jochen Malmsheimer hat er 8 Jahre lang erfolgreich albernes bis geistreiches Kabarett gemacht, unter anderem den ruhmvollen Salzburger Stier gewonnen, bis es im Jahr 2000 zur großen Trennung kam. Seitdem erfreut Goosen solistisch auf den Bühnen der Republik das Publikum und als Autor von bisher zwei Romanen (Liegen lernen, 2001 und Pokorny lacht, 2003) die aufmerksame Leserschaft und das Feuilleton. Jetzt leuchtet sein Name dem interessierten Leser gleich von zwei neu erschienenen Bänden entgegen. Mein Ich und sein Leben versammelt alte und neue Geschichtchen und Miszellen, die ihre Premiere auf der Bühne oder in diversen Zeitschriften erlebt haben. Ein Kolumnensammlung im Prinzip, wie sie von verschiedenen Damen und Herren, die sich in regelmäßiger Folge in den Periodika verbreiten, in ebenso regelmäßigen, wenn auch größeren Abständen vorgelegt werden. Und genau wie diese krankt auch dieses hübsche wickblaue Büchlein mit den freundlich befrackten Pinguinen darauf an den gleichen Punkten: Kolumnen oder Kabarettexte desselben Autors sind ähnlich gestrickt, folgen den gleichen Aufbauprinzipien und haben zumeist inhaltliche Übereinstimmungen. Das macht nix, wenn man das mal nen Abend zwei Stunden auf der Bühne sieht, weils live ist, oder wenn man es wöchentlich oder gar monatlich im Käseblatt seines Vertrauens liest. Am Stück allerdings, zwischen zwei Buchdeckeln und ohne den verbindenden Rahmen einer Romanhandlung wird es mit der Zeit dröge. Das liegt nicht im Geringsten an wechselnder oder mangelnder Qualität, es liegt einzig und allein an der Darreichungsform, die zuviel Gleiches oder Ähnliches auf einen Haufen schmeißt.. Also noch mal zum merken: wenn man die Texte in geeigneten – selbst einzuteilenden – Dosen zu sich nimmt, ist das Buch erfreulich und wünschenswert. Aber nicht überfressen !
Eine Anthologie ist auch das zweite Opus, auf dessen Titelkupfer die Marke Goosen wirbt. Versammelt sind hier aber nun nicht noch mehr Texte Goosens, sondern solche zum Thema Unsere Weltmeisterschaften. Von den verschiedensten Damen und Herren, die sich auf vielfältigste Weise sprachlich um den Sport verdient gemacht haben. Herr Goosen hat beigetragen und er hat herausgegeben und er wirbt dafür. Das ist schön von ihm. Das Buch ist auch schön geworden. Auch hier gilt natürlich Ähnliches wie oben: geballt sehr bis zu viel des Guten, teilen Sie sich das Buch fein ein.

Das letzte Hotel

Yoko Ogawa, Hotel Iris, Liebeskind-Verlag 2001, 18,90 €
In München hat eine neue Verlagsbuchhandlung ihre Pforten geöffnet, die ihre drei ersten Werke passend zur Frankfurter Buchmesse durch die Druckerpressen geschoben hat. Eines davon ist der Roman “Hotel Iris” der japanischen Autorin Yoko Ogawa. Ogawa gewann zahlreiche japanische Literaturpreise und gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen der japanischen Literatur. So weit – so gut. Das Booklet lockt mit folgendem Inhalt: “Die siebzehnjährige Mari führt zusammen mit ihrer Mutter ein bescheidenes Hotel in einem Badeort an der Küste. Eines Abends wird sie Zeugin eines heftigen Streits zwischen zwei Gästen, einem älteren Herrn und einer Prostituierten. Mari ist tief beeindruckt von der Würde und der Eleganz des Mannes, dem seine Begleiterin abartige sexuelle Neigungen vorwirft. Als sie den Mann später in der Stadt wiedersieht, macht sie seine Bekanntschaft und folgt ihm auf eine unbewohnte Insel, wo er zurückgezogen lebt. Seit Jahren arbeitet er dort an der Übersetzung eines russischen Romans, dessen Heldin ein gewaltsames Ende findet, genau wie seine eigene Frau Jahre zuvor.” Fast könnte man zu der Einsicht gelangen, ein interessantes und lesenswertes Buch wäre entstanden, das den Kauf lohnen würde. Doch der Irrtum könnte nicht größer sein. Schon nach zwei Seiten ist das Pulver verschossen, der Inhalt erzählt. Was folgt ist die Aneinanderreihung der immer gleichen sadomasochistischen Sexszene. Ein alter Mann vertrimmt ein junges Mädchen in kaum wechselnden Varianten nach Strich und Faden. Das ist keine Literatur, jedes billigste Bahnhofsblättchen würde in diesem Vergleich haushoch gewinnen. Auch der Einbezug eines russischen Romans, der eine Art Parallelwelt schaffen soll, kommt so stümperhaft daher, dass sein wahrer Zweck schnell klar wird: Ein miserables Buch soll wenigstens auf den Fußabtreter zum Haus der Literatur befördert werden. Yoko Ogawa – eine bedeutende japanische Schriftstellerin? Wohl eher nicht. Vertritt sie in exemplarischer Weise die japanischer Literatur, wie durch mehrere bedeutende Literaturpreise assoziiert wird, dann ist klar, warum die japanische Literatur hier eher unbekannt ist und wenige Leser findet. Wer also nicht weiß, was Sadismus ist, schlägt besser im Fremdwörterbuch nach.

Ein Klassiker der DDR-Literatur

Hermann Kant, Die Aula. Roman, Aufbau Taschenbuch Verlag 2001, 10.00 €
Hermann Kants erstmals 1965 erschienenes und jetzt im Aufbau Taschenbuch Verlag neu aufgelegtes Buch “Die Aula” galt als eine Art Vorzeigeroman der DDR-Literatur, da sich hier erstmals der offiziell proklamierte Sozialistische Realismus für früher als “formalistisch” verfemte, gemäßigt experimentelle, Erzähltechniken öffnete.Der 1926 geborene Kant lernte Elektriker, wurde kurz vor Kriegsende eingezogen, gehörte in der polnischen Kriegsgefangenschaft zu den Gründern eines Antifa-Kommitees, studierte dann an der Arbeiter-und-Bauernfakultät (ABF) in Greifswald und später Germanistik in Berlin, wurde Schriftsteller und ab 1978 Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes.”Die Aula” erzählt die Geschichte von Robert Iswall, ebenfalls ehemaliger Elektriker und Absolvent der ABF, der inzwischen als Journalist tätig ist. Er erhält die Nachricht, dass die Fakultät, die in der DDR Arbeitern und Bauern ermöglichte, das Abitur nachzuholen und sich so für ein weiteres Studium zu qualifizieren, geschlossen werde, weil sie ihre historische Aufgabe erfüllt habe, und er, Iswall, wird gebeten, aus diesem Anlass eine Rede zu halten. Obwohl er bis zur Abschiedsfeier noch ein halbes Jahr Zeit hat, lässt ihn der Auftrag nicht mehr los – ob er seine Frau, auch sie ABF-Absolventin und jetzt Augenärztin, zur Arbeit fährt und dabei an seine Einschreibung erinnert wird, oder ob er, als er für eine Reportage nach Hamburg geschickt wird, einen ihm inzwischen völlig fremd gewordenen alten Bekannten aufsucht.Auf 464 Seiten springt Kant geschickt immer wieder mittels Rückblenden und Erinnerungen zwischen den Zeitebenen hin- und her, spart auch nicht mit Kritik an diversen Missständen, lässt aber an seiner grundsätzlichen Identifikation mit der DDR nicht eine Sekunde lang Zweifel aufkommen. So kommen hier durchaus Republikflucht, Bananenknappheit, nicht nachvollziehbare Kurswechsel sowie Iswalls persönliche Probleme mit seinem Stiefvater, der zwar ein verdienter Antifaschist, aber trotzdem ein verbohrter Spießer ist, zur Sprache, was manche Leser verblüffen mag – setzte sich doch in den letzten Jahren die Meinung durch, wer an solche Themen rührte, sei für mindestens 15 Jahre in Bautzen verschwunden. So lohnt sich die Lektüre der “Aula”, die alles andere als ein Propagandaroman ist, auch heute noch. Einzig die teilweise, aber nicht durchgängig, etwas klischeehafte Zeichnung der Nebenfiguren, und die dann doch etwas feuerzangenbowlenhafte Schilderung typischer Erlebnisse aus der schönen Studentenzeit – der FDJler, der ständig das Wort “quasi” im Munde führt, “hatte damit seinen Namen weg” – vermögen den positiven Eindruck zu trüben.

Die Gelehrtenrepublik, Fischer TB, 16,90 DM
1957, mitten im kalten Krieg, veröffentlichte Arno Schmidt “Die Gelehrtenrepublik”, einen “Kurzroman aus den Roßbreiten”, der im Jahre 2008 spielt – nach dem Atomkrieg, in dem sowohl Europa als auch weite Teile Nordamerikas vollständig zerstört wurden. Der Journalist Charles Henry Winer erhält die Genehmigung, in den gesperrten Abschnitt, den sogenannten Hominidenstreifen, einzureisen. Dort haben sich inzwischen verschiedene Mutationen zwischen Mensch, Pferd und Insekten gebildet; sogenannte Hexapoden, also Sechsbeiner, von denen es drei Arten gibt: Zentauren (die Männchen haben sogar ein Horn), bösartige, spinnenförmige “Never-Nevers” und “Fliegende Masken”, Schmetterlinge mit menschlichem Kopf. Winer erlebt hier eine Schlacht gegen Never-Nevers sowie erotische Abenteuer mit einer blutjungen Zentaurin, was aber, wie er sich nach seiner Rückkehr zum Militärstützpunkt an der Grenze versichern lässt, nicht als Sodomie gewertet wird. In den letzten zwei Dritteln des Buchs besucht er dann die Gelehrtenrepublik IRAS (”International Republic of Artists and Scientists”), eine von allen acht Großmächten gemeinsam verwaltete schwimmende Insel. Dort sind die größten Künstler und Wissenschaftler aus allen Teilen der Erde untergebracht worden, um ihnen optimale Arbeitsbedingungen und Schutz vor Kriegen zu gewähren. Schon bald nach seiner Ankunft muß Winer jedoch feststellen, dass die Insel keineswegs neutrales Territorium ist, sondern de facto in zwei Hälften, einen östlichen, in dem z.B. Romane vom “Kombinat 8″ verfaßt werden, und einen westlichen, bzw. hier “Backbord” und “Steuerbord”, zerfällt, die dementsprechend gegeneinander intrigieren – der Konflikt lässt also nicht einmal dieses Refugium des Geistes unberührt. Winers Bericht wird dann auch als so brisant eingestuft, dass es nur in eine tote Sprache, hier Deutsch, übersetzt erscheinen darf. Die Erlebnisse des Journalisten werden in der für Arno Schmidt typischen eigenwilligen Ortographie und Interpunktion wiedergegeben, die hier kein möchtegern-avantgardistischer Spleen sind, sondern, ähnlich wie bei James Joyce im “Ulysses”, das Bewußtsein nachbilden sollen. Die launischen Kommentare Winers werden dazu noch durch die Fußnoten des Übersetzers, eines “Restdeutschen” – ein pensionierter Studienrat, der zum Zeitpunkt der Zerstörung Europas im Ausland weilte und schreibt wie ein Vertriebenenfunktionär (”hat noch keinem geschadet” etc.) – konterkariert. So ist dieser Science-Fiction-Roman ein sarkastisches Statement zum Ost-West-Konflikt mit zahlreichen Seitenhieben gegen Adenauer-Deutschland und gegen alles Militärische, bei dem einem auch heute noch manchmal das Lachen im Halse stecken bleiben kann.