Was blökt die hehre Wissenschaft ?

Georg Klein, Sünde Güte Blitz, Rowohlt, 2006, 17,90 €

Eine beliebte Meinung über Bücher ist, daß über Qualität und Tauglichkeit eines bestimmten Buches für einen bestimmten Leser (der Umkehrschluß – die Tauglichkeit des Lesers für das Buch – wird leider seltener ins Kalkül gezogen) eine gewisse Anzahl erster Seiten entschieden – so daß man ein Buch, dessen erste etwa 30 Seiten einem nicht zusagten, getrost zu- und verklappen möge oder es beispielsweise tauglicheren Lesern schenken möge. Diesem Kriterium zufolge wäre Georg Klein vollkommen zurecht ein Bestsellerautor. Anfänge von Klein-Büchern sind mitreißend, erzeugen Vorfreude auf das, was geschehen möge, und regen den Appetit merklich an. Der Spannungsaufbau ist Kleins Sache ebenso wie das – manchmal beinahe schon aufdringliche – Einstreuen kleiner Geheimnis- und Informationsbröckchen, deren Auf- und Erklärung der Leser mit Interesse erwartet.
Mehr Schwierigkeiten hat der Autor damit, seine Bücher angemessen zu beenden. Wie schon in seinem – im übrigen wirklich lesenswerten – ersten Roman Libidissi gibt es auch in Sünde Güte Blitz kein wirkliches Ende. Die mühevoll und elaboriert über 180 Seiten aufgebaute Spannung und Interessenlage verpufft in einem knapp vierseitigen scheinbaren Showdown, der die im erweiterten Zentrum der Erzählung stehenden zusammenführt, ohne die zwischen ihnen bestehenden Konflikte oder Beziehungen wirklich zum Thema zu machen. Was in diesem Finale wirklich passiert, bleibt dem Leser im Endeffekt genauso unklar wie den mit der Aufklärung befaßten Instanzen, die den “spektakuläre[n] Vorfall bis auf weiteres [für] wissenschaftlich unerklärt” befinden.
Man kann dieses Buch – wie es viele Rezensenten tun – als Kritik oder zumindest Infragestellung der naturwissenschaftlichen Neugier begreifen, die immer aufs neue Grenzen überschreite, um den Dingen auf den Grund zu gehen und sie restlos zu erklären. Eine solche Lesart hat eine gute Chance, die Intention des Autors zu treffen, der den mit dem Verfassen des Klappentextes befaßten immerhin schreiben läßt: “Sünde Güte Blitz ist nicht nur ein wundersamer Ärzteroman und eine Dämonengeschichte, sondern auch ein Buch über unsere Wissensgläubigkeit, jene Religion, die uns in scheinbarer Allmacht Fruchtbarkeit, Gesundheit und erotische Attraktivität verspricht.” Folgerichtig werden dann auch die alten Frauen reihenweise – in unterschiedlichem Abstand zur Mitte der Erzählung – wieder jung und blühend, sobald sie in die Behandlung der – ebenfalls wie in Libidissi erweist sich Klein hier als ein Freund paarig auftretender männlicher Protagonisten – Doktoren Weiss und Schwartz geraten.
Man mag nun versucht sein, das erklärungslose Abebben des Romans als bewußtes Gegenbild zum unbedingten Aufklärungswillen der Naturwissenschaft – wobei allein eine solche Verallgemeinerung an sich schon reichlich problembehaftet ist – zu begreifen. Sollte das Kleins Absicht gewesen sein, kann man ihm in erster Linie vorwerfen, er unterschätze die eben genauso vorhandene geisteswissenschaftliche Neugier, die vielleicht nicht wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält, wohl aber, was der Autor uns damit sagen will. Das mag ein vermessener Wunsch sein, weil er sich zu sehr auf den Autor fokussiert. Leider tut uns der Roman allerdings nicht den Gefallen, sich allein aus sich zu erklären.

Zu einfach gemacht

Matthias Viertel, Das Wichtigste über Religion und Philosophie, dtv einfach wissen, 2006, 9,90 €
Das „quer durch alle Bevölkerungsschichten“ sinkende Bildungsniveau stellt der Herausgeber der achtbändigen Reihe einfach wissen fest – oder vielmehr, daß von dieser Entwicklung „ständig die Rede“ sei – und führt als einzigen Grund („Eines ist klar“) „[d]ie steigende Informationsflut (…) zusammen mit der wachsenden Medienvielfalt“ an, nicht ohne – wenn auch mit plakativer ironischer Distanz – mit der PISA-Keule zu winken. Da dieses Vorwort bis auf den thematisch konkreten Schlußabsatz textidentisch allen Bänden der Reihe voransteht, handelt es sich hierbei wohl um eine Darlegung des zugrundeliegenden Konzeptes: „Namhafte Wissenschaftspublizisten stellen in acht Bänden ein breites Spektrum von Wissensgebieten vor (…). Aus dem jeweiligen Fachgebiet werden zentrale Informationen herausgefiltert, die als Grundwissen gelten können. Dadurch entsteht eine solide Wissensbasis, die es erleichtert, weiteres Detailwissen einzuordnen, miteinander zu verknüpfen und im Gedächtnis zu behalten.“ Darüber hinaus sei das alles „gut verständlich und unterhaltsam geschrieben“. Ganz abgesehen von der Durchführung im Einzelnen ist auch dieser Anspruch zumindest eines Hinterfragens würdig. So kann man z. B. durchaus in der Frage, wo denn der Grund für den Bildungsrückgang liege, anderer Meinung sein: selbst wenn man die konstatierte ‚Informationsflut‘ als gegeben hinnähme, wäre die daraus folgende Notwendigkeit m. E. nicht so sehr das Aufstellen von Hinweisschildern zu den vermeintlich wichtigsten Wissensversatzstücken, sondern vielmehr die Qualifikation, sich seine Informationen selbst auszuwählen und diese dann an ihrem angestammten Ort aufzufinden. Zugespitzt gesagt: Bildungsverlust ist keine Folge des anwachsenden Quellenangebots, sondern gründet z. B. in der Idee, man könne das Wissenswerte über Religion und Philosophie oder über Kunst und Musik auf unter 200 Seiten, versetzt mit vielen bunten Bildern, autoritativ darstellen. Das geht nicht. Zum einen, weil jede Auswahl an sich subjektiv ist, so daß zwei durch solche Bücher gleicher Zielsetzung und Fachrichtung, dabei aber unterschiedlicher Autorschaft, mit einer ’soliden Wissensbasis‘ versehene beispielsweise Schüler sich beide im Besitz der unangreifbaren Weisheit wähnen, dabei aber komplett aneinander vorbei oder gegeneinander reden. Zum anderen, weil es nun einmal Sachverhalte gibt, die sich nicht in drei blumig geschriebenen Sätzen und ggf. noch einer Illustration erklären lassen, sondern die durch eine Überführung in popular science nur verkürzt und verfälscht werden.
Kurz und knapp: Den Ansatz kann man kritisieren. Die Durchführung muß man kritisieren. Einerseits, weil sie mal die Unzuverlässigkeit biblischer Zeit- und Ortsangaben und exegetischer Annahmen feststellt, daneben aber mehr oder weniger akzeptierte Forschungshypothesen kommentarlos als Fakten darstellt. Andererseits, weil nicht selten schlichtweg Falsches da steht.
Zum Beispiel stellt Herr Viertel im Abschnitt zu Jesus fest, es sei „in der Forschung unbestritten, dass Jesus, der Sohn eines Zimmermanns, nicht in Bethlehem, sondern in Nazareth zur Welt kam.“ Zwar auch verkürzt (weil es – je nachdem, welche Forschung man zur Grundlage nimmt – manchmal Betlehem [wo im Übrigen zwar David, nicht aber Rahel geboren ist – die nämlich ist als Tochter Labans in Aram geboren, in Betlehem hingegen gestorben und begraben] als Geburtsort durchaus unbestritten ist, in anderen Fällen auch mal gerne die historische Existenz einer Person Jesus von Nazareth überhaupt in Frage gestellt wird), aber meinetwegen noch akzeptabel. Direkt im folgenden Satz wird dann aber die Datierung der Geburt in „die Regierungszeit König Herodes d. Gr.“, die sich ja auch aus biblischen Angaben speist, als historisches Faktum dargestellt. Das ist in Kombination zumindest inkohärent.
Ähnlich verhält es sich z. B. mit der auf Petrus gemünzten Feststellung „Jesus dürfte er über den Sympathisantenkreis Johannes des Täufers kennen gelernt haben, auf jeden Fall war er wohl dabei, als dieser Jesus im Jordan taufte.“ Wenn für diese These eine Quelle angegeben wäre, könnte man nachprüfen, wie genau sie sich biblisch begründen ließe – einfach kommentarlos in den Raum gestellt muß man hier die Phantasie des Autors am Werke sehen. Auch hier liegt nämlich eine ähnliche Nutzung von zweierlei Maßstäben zugrunde: Jedes der vier Evangelien kennt eine Beschreibung der Begegnung zwischen Jesus und Petrus, nur diejenige des Johannesevangeliums stellt diese überhaupt in den Kontext Johannes‘ des Täufers (dort ist allerdings Petrus‘ Bruder Andreas der Täuferjünger, der Jesus nachfolgt); der biblische Befund widerspricht der von Herrn Viertel ausgeführten These also explizit. Nun mag man berechtigterweise an der Historizität des biblischen Berichtes zweifeln – dann stellt sich allerdings die Frage, warum man überhaupt an der Person Petrus oder Johannes festhält.
Und dieser Beispiele könnte man viele aufzählen. Das aber wäre ermüdend.

Silentium!

Johannes Balve, einfach wissen: Das Wichtigste über Literatur & Sprache, dtv, 2006, 9,90 €

Jetzt ist schon wieder ein Buch erschienen. Und ausgerechnet eins über das Wichtigste rund um Literatur und Sprache, wo man doch glauben könnte, jeder Doktorand, jeder angehende Junior-Professor der Welt hätten bereits kurz und absolut übersichtlich das Wichtigste über Sprache und Literatur zusammengetragen.
Doch nicht kurz, übersichtlich und anschaulich genug, muss sich Johannes Balve gedacht haben und formte für die dtv-Reihe „einfach wissen“ eine neue „Zusammenschau“.
So informiert der Band nun über – vom Autor ausgewählte – Persönlichkeiten der (deutschen) Literatur, erklärt dann die Entstehung der Sprache(n), lässt die literarischen Epochen Revue passieren und endet mit einem – vom Autor ausgewählten – Überblick über literarische Meisterwerke.
Das ist alles schön und gut und liest sich auch ganz hübsch, ist aber angesichts der Flut von Literaturgeschichten nicht notwendig. Auch ein möglicher Hinweis, in der zusammenfassenden Kürze liege hier die Würze, sticht nicht, weil erstens in der Internet-Enzyklopädie „Wikipedia“ schöner zusammengefasst und zusätzlich besser erklärt wird und zweitens besagte Kürze dem unwissenden Leser kein rundes Bild von „Literatur & Sprache“ vermitteln kann.
Außerdem ist vollkommen unklar, warum zunächst Persönlichkeiten, später Epochen und schließlich Meisterwerke dargestellt werden. Diese Reihenfolge dürfte dem Laien den Blick auf die Beziehung zwischen Mensch, Werk und Epoche vollkommen verstellen.
Ein gutes Buch für Kenner: Sie merken, wie schlau sie sind.

Sag nie mehr Ding

Wolf Haas, Das Wetter vor 15 Jahren, Hoffmann & Campe 2006, 18,95 €

Eigentlich nur konsequent: Wolf Haas hat in seinem letzten Roman den Erzähler um die Ecke gebracht und mußte sich schon danach der Hilfskonstruktion eines Zeitungsberichts bedienen, um den Plot einem irgendwie funktionstüchtigen Ende zuzuführen. Sein neuer Roman bleibt praktischerweise gleich in diesem erzähltechnischen Großbereich, indem er nicht einfach eine Geschichte erzählt, sondern gleich die publizistische Aufbereitung und Bedeutungssuche mitliefert. Und das geht so: abgedruckt ist ein in fünf Tage gegliedertes Interview mit dem Autor Wolf Haas über dessen neuen Roman. Metaliteratur sozusagen. Wobei die fragenstellende Literaturbeilage in ihrer Gesprächsführung nicht sonderlich virulent daran interessiert scheint, ihren Lesern den Inhalt des Romans mitzuteilen. Vorkenntnisse werden also vorausgesetzt. Man kann das alles vor dem Hintergrund postmoderner Literaturkonzepte als bewußte Dekonstruktion der Erzählerrolle lesen oder als Herausforderung an den Leser, seine Rolle als Mitautor wahrzunehmen, indem man ihm schlicht und einfach einen unfertigen oder nur zum Teil zugänglichen Text vorsetzt. Ganz im Sinne Arno Schmidts (vgl. Berechnungen, § 13) wäre Haas also ein angewandter Schriftsteller, der die von reinen Wortwissenschaftlern entwickelten Prosaformen für das breite Publikum umsetzte. Mag sein. Genauso gut denkbar ist aber auch, daß er schlicht und einfach die Schnauze voll davon hatte, sich nicht nur weiterhin der selbstgewählten Sprachbehinderung des Erzählers der Brenner-Romane zu unterwerfen, sondern außerdem auch noch Rezensionen über seine Bücher und Fanpost im gleichen restringierten Stil lesen zu müssen. Das wäre zumindest leicht verständlich.
Vollkommen unabhängig davon, was genau Wolf Haas nun inspiriert oder zu dieser Form angeregt haben mag, es hat auf jeden Fall funktioniert. Man liest auf mehreren Ebenen gleichzeitig und man hat auf allen Ebenen gleichzeitig Spaß. Besonders ins Auge fallen (vor allem den rezensierenden Literaturkritikern) die Anspielungen und Seitenhiebe auf die Prozesse und Gebräuche des Literaturbetriebs, in erster Linie das kontinuierliche Aneinandervorbeireden der Gesprächspartner, die ständige Verteidigungshaltung des Autors dem Überinterpretationswillen der Interviewerin gegenüber. Spaßbringend ist aber daneben ebenso der Plot des zur Debatte stehenden Romans, dessen sprachliche Umsetzung – ausgehend von den immer wieder wörtlich zitierten Stellen – eher müde zu sein scheint.

In der georgischen Literatur eingegangen

Gaga Shurgaia u.a. (Hg.), Nik’oloz Baratašvili. Ein georgischer Dichter der Romantik, Königshausen & Neumann 2005, 24,80€.
Kennen sie Barataschwili? Ja eben! Ich bin im Prinzip ja für jeden Versuch, dem deutschsprachigen Leser auch die eher vernachlässigten Bereiche der Weltliteratur nahezubringen, aber alles lass ich mir ja auch nicht gefallen. Wenn das, was uns hier geboten wird, die Blüte der georgischen Romantik ist, kein Wunder das die Kanzlergattin Sophia seinerzeit, wie auf S. 117 berichtet wird, “in der georgischen Literatur als Georgische Mutter eingegangen ist”. Fatal.
Aber im Ernst: Wenn ein hierzulande unbekannter Dichter aus einer hierzulande unbekannten Literatur so schlunzig veröffentlicht wird, schadet das dem Ansehen dieser Literatur. Dabei kann Nikolos Barataschwili natürlich nichts für Hans-Christian Günthers schauderhafte Hinterherdichtungen und galoppierende Jamben; um mit dem Nachdichter zu sprechen: “’s ist wie die Nachtigall, hört man ihr Lied/wenn man sie eingesperrt im Käfig sieht.” Angesichts dieser Übersetzungen fällt es schwer an die von Frau Sauna beschworene Wortgewalt des Originals zu glauben. Aber damit nicht genug: Jede Seite in diesem Machwerk läuft über von Rechtschreib- und Grammatikfehlern und die Kommata sind per Zufallsgenerator gesetzt worden. Drei Herausgeber haben an diesem Buch gearbeitet und noch mehr an der Reihe “Texte und Studien zur Literatur des griechisch-orientalischen Kulturrraums” in der dieser Band erschienen ist. Einmal Korrekturlesen hätte doch da noch drin sein müssen. Vor nicht allzu langer Zeit war Nikolos Barataschwili ein Buch mit sieben Siegeln. Jetzt ist “Nik’oloz Baratašvili. Ein georgischer Dichter der Romantik” ein Buch mit sieben verhunzten Nachreimereien und 7000 Fehlern.