Zu einfach gemacht

Matthias Viertel, Das Wichtigste über Religion und Philosophie, dtv einfach wissen, 2006, 9,90 €
Das „quer durch alle Bevölkerungsschichten“ sinkende Bildungsniveau stellt der Herausgeber der achtbändigen Reihe einfach wissen fest – oder vielmehr, daß von dieser Entwicklung „ständig die Rede“ sei – und führt als einzigen Grund („Eines ist klar“) „[d]ie steigende Informationsflut (…) zusammen mit der wachsenden Medienvielfalt“ an, nicht ohne – wenn auch mit plakativer ironischer Distanz – mit der PISA-Keule zu winken. Da dieses Vorwort bis auf den thematisch konkreten Schlußabsatz textidentisch allen Bänden der Reihe voransteht, handelt es sich hierbei wohl um eine Darlegung des zugrundeliegenden Konzeptes: „Namhafte Wissenschaftspublizisten stellen in acht Bänden ein breites Spektrum von Wissensgebieten vor (…). Aus dem jeweiligen Fachgebiet werden zentrale Informationen herausgefiltert, die als Grundwissen gelten können. Dadurch entsteht eine solide Wissensbasis, die es erleichtert, weiteres Detailwissen einzuordnen, miteinander zu verknüpfen und im Gedächtnis zu behalten.“ Darüber hinaus sei das alles „gut verständlich und unterhaltsam geschrieben“. Ganz abgesehen von der Durchführung im Einzelnen ist auch dieser Anspruch zumindest eines Hinterfragens würdig. So kann man z. B. durchaus in der Frage, wo denn der Grund für den Bildungsrückgang liege, anderer Meinung sein: selbst wenn man die konstatierte ‚Informationsflut‘ als gegeben hinnähme, wäre die daraus folgende Notwendigkeit m. E. nicht so sehr das Aufstellen von Hinweisschildern zu den vermeintlich wichtigsten Wissensversatzstücken, sondern vielmehr die Qualifikation, sich seine Informationen selbst auszuwählen und diese dann an ihrem angestammten Ort aufzufinden. Zugespitzt gesagt: Bildungsverlust ist keine Folge des anwachsenden Quellenangebots, sondern gründet z. B. in der Idee, man könne das Wissenswerte über Religion und Philosophie oder über Kunst und Musik auf unter 200 Seiten, versetzt mit vielen bunten Bildern, autoritativ darstellen. Das geht nicht. Zum einen, weil jede Auswahl an sich subjektiv ist, so daß zwei durch solche Bücher gleicher Zielsetzung und Fachrichtung, dabei aber unterschiedlicher Autorschaft, mit einer ’soliden Wissensbasis‘ versehene beispielsweise Schüler sich beide im Besitz der unangreifbaren Weisheit wähnen, dabei aber komplett aneinander vorbei oder gegeneinander reden. Zum anderen, weil es nun einmal Sachverhalte gibt, die sich nicht in drei blumig geschriebenen Sätzen und ggf. noch einer Illustration erklären lassen, sondern die durch eine Überführung in popular science nur verkürzt und verfälscht werden.
Kurz und knapp: Den Ansatz kann man kritisieren. Die Durchführung muß man kritisieren. Einerseits, weil sie mal die Unzuverlässigkeit biblischer Zeit- und Ortsangaben und exegetischer Annahmen feststellt, daneben aber mehr oder weniger akzeptierte Forschungshypothesen kommentarlos als Fakten darstellt. Andererseits, weil nicht selten schlichtweg Falsches da steht.
Zum Beispiel stellt Herr Viertel im Abschnitt zu Jesus fest, es sei „in der Forschung unbestritten, dass Jesus, der Sohn eines Zimmermanns, nicht in Bethlehem, sondern in Nazareth zur Welt kam.“ Zwar auch verkürzt (weil es – je nachdem, welche Forschung man zur Grundlage nimmt – manchmal Betlehem [wo im Übrigen zwar David, nicht aber Rahel geboren ist – die nämlich ist als Tochter Labans in Aram geboren, in Betlehem hingegen gestorben und begraben] als Geburtsort durchaus unbestritten ist, in anderen Fällen auch mal gerne die historische Existenz einer Person Jesus von Nazareth überhaupt in Frage gestellt wird), aber meinetwegen noch akzeptabel. Direkt im folgenden Satz wird dann aber die Datierung der Geburt in „die Regierungszeit König Herodes d. Gr.“, die sich ja auch aus biblischen Angaben speist, als historisches Faktum dargestellt. Das ist in Kombination zumindest inkohärent.
Ähnlich verhält es sich z. B. mit der auf Petrus gemünzten Feststellung „Jesus dürfte er über den Sympathisantenkreis Johannes des Täufers kennen gelernt haben, auf jeden Fall war er wohl dabei, als dieser Jesus im Jordan taufte.“ Wenn für diese These eine Quelle angegeben wäre, könnte man nachprüfen, wie genau sie sich biblisch begründen ließe – einfach kommentarlos in den Raum gestellt muß man hier die Phantasie des Autors am Werke sehen. Auch hier liegt nämlich eine ähnliche Nutzung von zweierlei Maßstäben zugrunde: Jedes der vier Evangelien kennt eine Beschreibung der Begegnung zwischen Jesus und Petrus, nur diejenige des Johannesevangeliums stellt diese überhaupt in den Kontext Johannes‘ des Täufers (dort ist allerdings Petrus‘ Bruder Andreas der Täuferjünger, der Jesus nachfolgt); der biblische Befund widerspricht der von Herrn Viertel ausgeführten These also explizit. Nun mag man berechtigterweise an der Historizität des biblischen Berichtes zweifeln – dann stellt sich allerdings die Frage, warum man überhaupt an der Person Petrus oder Johannes festhält.
Und dieser Beispiele könnte man viele aufzählen. Das aber wäre ermüdend.