»Tut mir leid, nech? Echt. Zorry, echt.«

Frank Schulz, Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen, Galiani Berlin 2015, 19,99 €
Es ist ein Fluch mit den Büchern von Frank Schulz. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll.
Zuerst gelesen habe ich »Morbus Fonticuli«, 2001, tatsächlich in der Erstausgabe aus dem unmittelbar gleichzeitig liquidierten Haffmans Verlag. Rein physikalisch gesehen ein Trumm von einem Buch. Rein literarisch gesehen ein Traum von einem Buch. Bodo Morten säuft und sumpft sich ins Loch, ins psychische allemal, zunehmend auch ins unmetaphorische. Daß man das als Leser befürchtet, und nicht etwa bloß erwartet, oder es sogar, als wäre das Ganze eine moralische Wochenschrift, peripetetisch herbeihofft, ist große Kunst; daß man sich dabei fortwährend kaputtlacht, ist ein großer Spaß.
Vor allem diesen gebührend weiterzuempfehlen scheiterte daran, daß mein Gesprächspartner1 nicht nur bereits in Kenntnis und im Besitz des Buches war, sondern darüberhinaus geradezu empört war, daß ich vom ersten Buche Schulzens, dessen Icherzähler ebenfalls Bodo Morten sei, keinerlei Kenntnis hatte. Das dann zu allem Übel nicht lieferbar und antiquarisch großflächig vergriffen war. O große Not!
But, alas!, es wurde dann beizeiten erstens eine Wiederveröffentlichung beider Bücher angekündigt und zweitens wurde ich in einem uninahen Ramsch- und Altpapierantiquariat eines einigermaßen abgerockten Exemplars von »Kolks blonde Bräute« ansichtig und schleunigst habhaft. Bodo Morten säuft und sumpft, vor allem aber wohnt er dem Saufen und Sumpfen seines alten Kumpels Alfred Kolk bei. Das nicht ins Loch, sondern ins Nest, sprich: zwar auf Schleichwegen, aber schließlich doch in ein augenscheinlich glückliches Familienleben in beider Heimatdorf führt. Dabei aber wortreich an Mortens Hirngespinsten vorbei.
Der dann schließlich im dritten Teil der »Hagener Trilogie« Asyl in Griechenland gefunden hat. Wenn auch, so legt es die Erfahrung wie die innere Chronologie der Trilogie nahe, ein nur temporäres. Damit war Morten, war das Personal der Trilogie abgefrühstückt. Das ist er nämlich, der Fluch mit den Büchern von Frank Schulz. Egal, wie ausladend sie werden, sie sind grundsätzlich zu schnell vorbei.
Und dann wird ein Thriller angekündigt, dessen showdown, schon wieder so eine hirnrissig brillante Zeitkonstruktion, anhand der detaillierten Nacherzählung eines youtube-Videos geschildert wird. Genauer: anhand von vier zusammengehörigen Videos, deren Abfolge durch weitere Rückblenden, die ihrerseits das set-up, das unaufhaltsam auf die katastrophé zusteuernde set-up, erzählerisch rekonstruieren. Die nämlich vorführen, warum der augenscheinlich auf vielerlei Weisen diesen Titel verdienende »Irre vom Kiez« so sauer ist auf den dysfunktionalen Privatdetektiv Onno Viets, daß er einen kompletten Alsterausflugsdampfer in Geiselhaft nimmt. Das so zu erzählen, muß man sich erst mal trauen. Und durchs Lektorat kriegen. Aber es funktioniert. Man weiß, Onno Viets wird mit Schmackes gegen die Wand rennen, man kriegt die Wand in mancherlei Detail beschrieben, und trotzdem bleibt es spannend. Und sei es nur, weil man wissen will, wie und wo er abprallt.
Was aber, so fragt man sich, wenn man, und damit sind wir endlich beim aktuellen Buch angekommen, soll denn nach dieser Wand noch kommen? 2 Wie abgedreht, blut- und schnapsrünstig muß »Onno Viets und das Schiff der baumelnden Seelen« werden, um nicht lauer Abklatsch oder alberne Antiklimax zu sein?
Keine Sorge. Das nämlich ist das Kunststück, neben der Sprache natürlich, neben der – das mag ein Fluch für Frank Schulz sein – sowieso erwarteten erzählerischen Kunstfertigkeit, ist das das Kunststück: die Erwartungen nicht zu erfüllen, ohne sie zu enttäuschen.

Ich ist ein Vorbild

Philipp Lahm, Der feine Unterschied. Wie man heute Spitzenfußballer wird. Aufgezeichnet von Christian Seiler, Kunstmann 2011, 19,90 €

Das Beste, was man über den Autor Philipp Lahm sagen kann, ist, daß er alles, was er da hinschreibt, wirklich so meint.
Der Mann ist ja eigentlich Fußballspieler. Die werden ja gern mal überschätzt.

An den Straßenrändern feiernde Leute. Polizisten, die salutieren, wenn unser Bus vorbeifährt. Noch mehr Autos mit Deutschland-Fahnen. Das Land eine Party, und wir sind die Hauptpersonen. Was ist denn hier bloß los?
[S. 91]

Gute Frage. Da wundert er sich, der Herr Lahm. Aber nicht etwa darüber, daß da anscheinend jede Menge Leute seinen Sport und seine Mannschaft und die Fußballweltmeisterschaft an sich zum historischen Moment überhöhen. Das, meint er, hat schon seine Richtigkeit.

Kurze Ansprache der Kanzlerin. Schade, dass Sie verloren haben, meine Herren. Aber Sie dürfen auf das, was Sie erreicht haben, sehr stolz sein. Sie haben für eine Stimmung im Land gesorgt, die in Deutschland noch nie da gewesen ist.
Schon. Aber wir haben gerade verloren.
[S. 107]

Wohlgemerkt: Merkel schreit eine Fußballmannschaft zur Stimmungskanone für das Gesellschaftsklima hoch – und der Einwand, den Lahm geltend macht, ist nicht etwa der, daß das überzogen dummes Zeug ist, sondern — daß das durch Gegentore angefressene Selbstbewußtsein jetzt ja nun erst mal wichtiger sei, als das Gesellschaftsklima.

Es ist dieser Rausch, in den dich nur der Erfolg versetzt. Die Sicherheit, dass jeder Gedanke, den du hast, auf dem Rasen Wirklichkeit wird. Dass du nicht über banale, technische Fehler stolperst, wenn du einen genialen Einfall hast.
[S. 94]

Wie gesagt: der gute Mann redet vom Fußballspielen. Das ist keine Selbststilisierung wider besseres Wissen, das meint der wirklich alles ernst. Was sportjournalistisch zumindest latent ironisch gebrochen wird, ist bei Lahm so emphatisch wie pathetisch. Wobei Emphase wie Empathie in Sprache und Ausdruck der Seifenoperigkeit der Boulevardmedien entliehen sind.

Unbemerkt von den meisten Spielern hockt sich jetzt Oliver Kahn zu Jens Lehmann und wünscht ihm Glück. Das ist dem Oli bestimmt nicht leichtgefallen (…).
[S. 99]

Das Schlechteste, was man über den Menschen Philipp Lahm sagen kann, ist, daß er alles, was er da hinschreibt, wirklich so meint.

»Will uns der verarschen?«

Kurt Palm, Bad Fucking, rororo 2011, 9,99 €
Den Gesetzen des Genres Kriminalroman folgend, sollte die Handlung eine Tat beinhalten und der Ordnung halber auch einen Täter. Das Beides gerne auch im Plural. Weitergehende Handlung nicht ausgeschlossen. Und wenn das Kapitalverbrechen nur als MacGuffin taugt, um Region, Milieu oder die Gesellschaft insgesamt vorzuführen.
Tote gibt es in Wien, vor allem aber im titelgebenden Ort höchstselbst, allwo sie in der Kühlkammer des Metzgers gelagert werden, weil die des Bestatters defekt ist. Daß nun etwa nicht eine großangelegte Untersuchung staatsbehördlicherseits durchgeführt wird, liegt an der durch die Anwohner beklagten Tatsache, daß Bad Fucking aufgrund von Lawinenabgängen in einer von Bergen umgebenen Sackgasse liegt. Und daran, daß die örtliche Dienststelle des landesüblichen Ordnungshüterwesens mehrere Reformschritte des Polizeiapparates nicht mitgekriegt und deswegen nicht mitgemacht hat. Stellen Sie sich die Ihnen bekannten satirischen Provinzdarstellungen vor, rechnen Sie einen Österreichbonus drauf, und dann ist es noch ein bißchen bekloppter.
Wenn Sie von der Lektüre eines belletristischen Romans Handlung im eigentlichen Sinne erwarten, gar von der Lektüre eines Kriminalromans Handlung im oben beschriebenen Sinne, dann könnte dieses Buch für Irritationen sorgen. Erwarten Sie also besser erst mal nix. Sondern lesen Sie einfach mal.

 

 

 

p.s.: Der Ortsname selbst ist abgeguckt, wiewohl der Autor ihm des Effekts, des Wortwitzes oder der Charakterisierung wegen den Status eines Kurortes verliehen hat.

Die Maienknospe, die verzärtelt lag [XVIII.3]

Shakespeares Sonette. Übersetzt und mit einem Nachwort von Christa Schuenke, dtv 2011, 9,90 €
Shakespeares Sonette mal wieder. Ob es gute Gründe gibt, der Vielzahl an lieferbaren Übersetzungen eine weitere hinzuzufügen, mag man da fragen. Viel verrät uns Frau Schuenke nicht über ihre Veranlassung.

Der eigentliche Grund jedoch, weshalb sie stets von neuem übersetzt, vor allem aber immer wieder neu gelesen werden, ist wohl ihre zeitlose Thematik, mit der die Menschen sich bis auf den heutigen Tag identifizieren können. Das Einzigartige dieser Dichtung ist die Direktheit, mit der sie uns berührt.

Das spricht für die Gedichte, daß sie ein solches Sentiment bei Frau Schuenke und, so vermutet Frau Schuenke, noch bei anderen Rezipienten auszulösen vermögen. Die Frage ist, ob sie das nicht auch in den Übersetzungen von Stefan George oder Klaus Reichert könnten. Oder direkt in der wirklich romantischen Version von Schlegels und Tiecks und wem allem.
Das Nachwort ist also kaum hilfreich, zumal es sich über weite Strecken mit den beliebtesten Fragen der Shakespeareforschung beschäftigt, wer das nämlich eigentlich gewesen sei oder wer die Stücke denn im Ernst geschrieben habe. Und mit den Fragen der Shakespearesonettforschung, wer denn der Widmungsempfänger sei und wer die Adressaten. Als ob solche Fragen wirklich literaturwissenschaftliche wären und nicht vielmehr Klatsch und Kolportage. Und auch wenn Frau Schuenke solche Fragen im Nachwort nur referiert und sie für den eigenen Zugang nicht als notwendig erachtet, so räumt sie ihnen doch breiten Raum ein und halt sie damit im kulturellen Gedächtnis ihrer Leser wach.
Das Nachwort ist also kaum hilfreich. Könnte der eigenständige Wert der Neuübersetzung also in ihr selber liegen, in ihrer besonderen Aktualität, in ihrer im Vergleich zu anderen Varianten höheren Genauigkeit oder in ihrem poetischen Wert. Geschmackssache. Mir persönlich häufig etwas altbacken, nicht besonders innovativ. Eine Variante unter vielen, die weder positiv noch negativ besonders hervorsteht.
In diesem Sinne kann ich mich nur wiederholen: Zur Einstiegslektüre besser geeignet ist die mehrsprachige Reclamausgabe, die eben nicht eine Komplettübersetzung beinhaltet, sondern Original und jeweils eine Nachdichtung. Man hat also alle Sonette auf deutsch und gleichzeitig ein Panorama der Übersetzungsgeschichte. Und Anmerkungen.

Kurz nach vier hat der Brenner doch noch mit dem Nachdenken aufgehört.

Wolf Haas, Der Brenner und der liebe Gott, dtv 2011, 8,95 €
Das muß man auch erst mal können: den Erzähler rausschreiben und dann trotzdem weiter erzählen lassen. Weil er vielleicht tot, aber nicht ruhig zu kriegen ist. Und der Brenner als solcher war ja sowieso nicht wirklich weg, weil es zusätzlich zu Brennerbüchern auch Brennerfilme gibt, die zwar heißen wie Brennerbücher, aber inhaltlich nur marginal mit jenen zu tun haben.
Der Brenner also hat einen festen Job, als autofahrender Kindsbetreuer, alldieweil das arme Kind zwischen den Eltern und also zwischen München und Wien pendeln muß. Dann wird er erst das Kind los, dann der Kindsentführung verdächtigt und dann den Job los. Und dann, man ahnt es, geht er auf Kindssuche und stößt damit mehr Ent- und Verwicklungen an, als er verhindert oder aufklärt. So wie eigentlich in jedem Brennerbuch bislang. Und weil man sich zwischen München und Wien auch in der Mitte treffen kann, trifft man sich gern mal in Kitzbühel, auch um in geschäftsfreundlichem Kreis zweifelhafte Abendgestaltungen zu unternehmen. Oder eben auch gutgehende Geschäfte zu belobigen und schlechtgehende Geschäfte zu beendigen. Und sei es im Abwasser.

Da ist eine Partie zusammengekommen, wo man fast sagen muss, ein kleines Kunststück, dass man eine Scheißegrube qualitativ noch verschlechtern kann.

Aber es trifft ja die Richtigen. Und den Brenner, das auch zuverlässig in jedem Brennerbuch, in jedem Brennerfilm. Gesetz der Serie halt. Und in den Sonnenuntergang reitet er zuverlässig mit Damenbegleitung.