Lehmann previsited

Sven Regener, Neue Vahr Süd, Eichborn, 24,90 €
Es kommt einem ja vor, als wär es erst letzte Tage gewesen, aber es ist tatsächlich schon 3 Jahre her, daß Herr Regener uns mit seinem Romanerstling Herr Lehmann erfreut hat. (Herr Regener war zuvor hauptsächlich bekannt dafür, der Band ‘Element of Crime’ seine Stimme, sein Trompeten und seine Texte zur Verfügung zu stellen. Erfreulicherweise tut er das natürlich immer noch. Aber außerdem schreibt er jetzt alle paar Jahre ein Buch.) Protagonist war erstaunlicherweise Herr Lehmann, der in Berlin hauptsächlich Bier zapft, zwischendurch seinen besten Freund ins Krankenhaus einliefern muß und zum Schluß sympathisch teilnahmslos durch die Euphorie des 9. November 1989 stapft. Um die Verfilmung dieses Stoffs hat sich inzwischen Leander Hausmann verdient gemacht. Und jetzt liefert Sven Regener ein Buch nach, das, wäre es ein Film, unter der Bezeichnung ‘Prequel’ liefe. Es geht wieder um Herrn Lehmann, der aber in den frühen 80er Jahren noch nicht mit dieser Titulierung kämpfen muß, sondern mit vielem anderem. Unter anderem mit seinem Wehrdienst, den er aus Gründen geistiger Unklarheiten zu verweigern vergessen hatte oder mit seinem überstürzten Auszug aus der elterlichen Wohnung, weil der Vater im so freigewordenen Zimmer Fernseher reparieren will und der ihn in eine reichlich abwegige WG von irgendwie diffus linken ehemaligen Klassenkameraden führt. Ein dickes Buch, das vieles erzählt, das an eigene Erlebnisse erinnert, zumeist aber an die Erlebnisse, die einem einer erzählt hat, der einen kennt, dessen Schwager dabei war. Aber das tut der Sache keinen Abbruch, man fühlt sich in dem Buch und damit in der titelgebenden vorstädtischen Betonsiedlung Neue Vahr Süd irgendwie so, als würde man es aus der Westentasche kennen, aber erst als man wieder da ist fällt einem ein, wie viele gute Gründe es für den Vorsatz gab, nie mehr herzukommen. Ähnlich ist es mit dem Erzählduktus: die Lakonik von Herrn Lehmann trifft sich hier mit einer latenten Aggressivität, die aber nie so richtig aufbricht, sondern meist kurz vor dem Höhepunkt in Müdigkeit umschlägt. Ein gutes, spannendes Buch, das viel Aufmerksamkeit und manchmal auch Durchhaltevermögen erfordert. Aber es lohnt sich. Freuen wir uns auf den nächsten Teil, der die Lücke zwischen dem Ende von Neue Vahr Süd und dem Anfang von Herr Lehmann schließen soll.