Smuggling Unconcious Ninja Turtles

Hans Thill (Hg.), Vorwärts, ihr Kampfschildkröten. Gedichte aus der Ukraine, Wunderhorn 2006, 19,90 €
Aurélie Maurin/Thomas Wohlfahrt (Hg.), VERSschmuggel VÉARSaistear, Wunderhorn/Cló Iar-Chonnachta 2006, 19,90 €

Die ukrainischen “Kampfschildkröten” erscheinen als achtzehnter Band in der hervorragenden Reihe “Poesie der Nachbarn”, die mittlerweile von Wunderhorn herrausgegeben und dort noch besser betreut wird als zuvor bei der edition die horen. Auf den ersten Blick scheint es sich beim “Versschmuggel” um dasselbe in grünem Einband und von der grünen Insel zu handeln. Beides zweisprachige Gedichtanthologien, beide im Rahmen von internationalen Workshops auf der Grundlage von Interlinearübersetzungen nachgedichtet; jeweils sechs ukrainischen/irischen Dichter(inne)n sechs deutschsprachige Nachdichter(innen) zur Seite gestellt… Und trotzdem hat jede dieser beiden Veröffentlichungen einen jeweils ganz eigenen Charakter. Beim “Versschmuggel” wurden Dichter(innen) beider Sprachräume paarweise zusammengestellt (von wem wird uns leider nicht verraten, das würde wohl sonst die editorische Fiktion untergraben, hier werde ein Experiment dokumentiert, das ohne Einmischung seitens der Herrausgeber seiner eigenen Dynamik gefolgt sei) und übersetzten sich dann gegenseitig. Das Buch (inklusive 2 CDs) erschien dann simultan in Irland und in Deutschland. Die “Kampfschildkröten” andererseits sind auf ein ausschließlich deutsches Lesepublikum zugeschnitten und die Übersetzungstätigkeit erfolgte nur in eine Richtung. Dabei durfte dann aber auch jeder jeden übersetzen, auch wenn das hieß, dass manchen Gedichten zwei oder drei (gelegentlich auch widersprüchliche) Nachdichtungen gegeübergestellt wurden. Dadurch wird in diesem Band der Übersetzungsprozess selbst zwischen den Zeilen hinterfragt und Übersetzbarkeit an sich infragegestellt. Ein Geniestreich sind die Collagen von Herta Müller, in denen zerschnippelte Interlinearübersetzungen willkürlich neu zusammengesetzt werden und so das Wort als unsemantische Materie vergegenständlicht wird. Sowohl Austattung als auch Inhalt laden zum stundenlangen Schmökern ein. Mag sein, dass der Rest der Welt die Ukraine nur marginal wahrnimmt, aber das beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Jurij Andruchowytsch ist fasziniert von amerikanischer Alltagskultur und betitelt seine Gedichte meist auf englisch, gelegentlich auch auf deutsch; Emma Andijewska besingt die ligurische Küste; Natalka Bilozerkiwez besingt eine Nixe; Andrij Bondar befasst sich mit polnischer Stalingrafitti, Oleh Lyscheha mit chinesischer Philosophie, und Serhij Zhadan mit Hamburger Nutten. Man weiß garnicht, was man ohne ukrainische Dichtung alles verpasst. Unter den Übersetzern sind besonders Herta Müller und Joachim Sartorius lobend hervorzuheben.
Der “Versschmuggel” ist insgesamt weniger erfolgreich. Einige der Paarungen sind ziemlich inkohärent. Mirko Bonné ist von Nuala Ní Dhomhnaills hintergründigen Ent- und Remythologisierungen der komplexen gälischen Tradition intellektuell, emotional und handwerklich überfordert und der arglose deutsche Leser würde anhand seiner Versionen nie darauf kommen, dass er es in Ní Dhomhnaill mit einer der weltbesten lebenden Dichterinnen zu tun hat. Monika Rinck hingegen ist ihrem “Partner” Gréagóir Ó Dúill klar überlegen und lässt seine mittelmäßigen Verse besser aussehen, als sie von Hause aus sind. Cathal Ó Searcaighs Übersetzungen von Maja Haderlaps Gedichten sind fasst doppelt so lang wie die Originale, man denkt: da stimmt doch was nich, aber in diesem Fall ist das paradoxerweise gerade ein Qualitätsmerkmal: Ó Searcaigh hat sich die Zeilen seiner “Partnerin” so zu Herzen genommen, dass er nicht umhin kann, sie kreativ weiterzuspinnen. Michael Davitt und Barbara Köhler verstehen einander gerade in ihrer Verschiedenheit ganz gut. Auch die Zusammenarbeit von Biddy Jenkinson und Dorothea Grünzweig (interessanterweise beide wohnhaft in Finnland) ist gelungen. Besonders schön ist das zu sehen am Beispiel von Grünzweigs “Glasstimmen Lasinäänet”, das gerade den Raum zwischen den Sprachen thematisiert. Gabriel Rosenstocks und Armin Sensers gegenseitige Übersetzungen haben ihre Schwächen, aber dafür ist ihre Performance auf der mitgelieferten CD sehr unterhaltsam. Im Ganzen scheint mir, dass der irischsprachige Leser bei diesem Band besser wegkommt als der deutschsprachige. Die irischen Originalbeiträge sind durchweg besser als die deutschen (obwohl Dorothea Grünzweig wirklich bemerkenswert ist) und bei den Übersetzungen schaffen insbesondere Ó Searcaigh (s.o.) und Rosenstock Mehrwert (So erfahren wir z.B. aus Gabriel Rosenstocks ausufernder Neudichtung von Sensers “Großem Erwachen”, dass Cathal Ó Searcaigh das Wort “das Unbewusste” nicht gerne hat. Das war Armin Senser selber unbewusst, steht aber jetzt in der Übersetzung).
Soviel dazu. Wo Sie das alles jetzt gelesen haben kann ich vielleicht noch einen Ratschlag von Jurij Andruchowytsch an Sie weitergeben: Sie können den Computer jetzt ausschalten.