Ran-tán-tan-tan, rata tan-tan tan-tán-tan-tan !

M.A. Numminen, Tango ist meine Leidenschaft, Haffmans bei 2001, 14,90 €
M.A. Numminen & Sanna Pietäinen und das neorustikale Tangoorchester, Trikont, 17,90 Euro

Ebenfalls eine lohnenswerte Rettung aus den Trümmern des Haffmans Verlags: ‘Tango ist meine Leidenschaft’ aus der Feder des finnischen Rundumkünstlers Mauri Antero Numminen. Virtanen ist Finne und als solcher tanzt er Tango. Und sonst nichts. Von einer geregelten Arbeit wird nicht berichtet und die Berührungspunkte mit Frauen bleiben aufgrund des seltsamen Ehrgeizes, Platon an Frigidität zu übertreffen, rein tänzerischer Natur. Dieses eigentümliche Arrangement wird durch einige Tanzbekannschaften ins Wanken gebracht, bevor es durch die Liebe zu einer solchen namens Anja auf die finale Katastrophe zusteuert. Mit den erzählenden Kapiteln wechseln solche ab, in denen uns Virtanen seine enzyklopädischen Kenntnisse der Geschichte des finnischen Tangos darlegt. Ein schönes Buch.
Einen schönen Soundtrack liefert eine CD, die passenderweise zeitgleich bei Trikont erschienen ist: Numminen selbst präsentiert unter Zuhilfenahme einer ehemaligen Tangoprinzessin sowie seines Neorustikalen Tangoorchesters 21 Tangos, zum Teil selbst geschrieben und partiell gar mit ansprechenden deutschen Texten versehen. Gut Holz.

O’Brien Reloaded

Der Kein & Aber-Verlag ist hier zu loben. Aufs Höchste. Weil er nämlich daran gegangen ist, die Werke Flann O’Briens wieder zu veröffentlichen, in den eigens zu diesem Zwecke überarbeiteten Übersetzungen Harry Rowohlts. Diese Aufgabe ist nun zur Hälfte erfüllt, teilweise unter Zugabe erläuternder Tondokumente. Aus Dalkeys Archiven (18 €) widerlegt die von allen namhaften Literaturwissenschaftlern geteilte These, James Joyce sei am 13. Januar 1941 in Zürich gestorben, indem es ihn als Wirt einer Dubliner Vorstadtkneipe aufspürt, der eine wie auch immer geartete Mitwirkung an oder gar eine Verantwortung für ‘Finnegans Wake’ rigoros abstreitet. Außerdem tritt ein entweder absolut genialer oder abgrundtief verrückter Universalgelehrter namens De Selby auf, dessen Thesen schon in ‘Der dritte Polizist’ behandelt wurden und der hier im Besitz einer Apparatur ist, mit der er alles Leben der Erde vernichten kann, die er aber zuerst einmal benutzt um in einer submarinen Höhle theologische Dispute unter anderem mit Augustinus zu führen.
Auf Schwimmen-zwei-Vögel (19 €) ist O’Briens erster und bekanntester Roman. Protagonist ist ein Dubliner Student mit der Neigung, literarische Werke zu beginnen und die entsprechenden Figuren einzuführen und dann auf halbem Wege die Lust oder den Faden zu verlieren und das Fragment beiseite zu legen. Die so zur Untätigkeit verdammten Personen schließen sich zusammen und schmieden Pläne gegen ihren Schöpfer. Diesem Buch hat Harry Rowohlt neben seinen translatorischen Talenten auch seine Stimme geliehen und damit ganze 8 CDs vollgesprochen (49 Euro).
Trost und Rat (16 Euro) versammelt eine viel zu kleine Auswahl aus dem Fundus der Kolumnen, mit denen O’Brien jahrelang die Irish Times usurpiert hat. Darin befindlich auch der Entwurf eines schönen Services für die allzu große Schicht wohlhabender und gleichzeitig unendlich dummer Menschen, in dessen Rahmen die Kunden eine fachmännisch zerlesene Bibliothek erwerben können, die dem Betrachter erzeigt, wie belesen der entsprechende Besitzer sei, ohne daß dieser sich selbst Mühen der Lektüre unterwerfen muß, ja sogar ohne daß er lesen lernen muß.
Dieser Komplex findet sich auch auf der CD Harry Rowohlt liest Flann O’Brien (17,50 Euro), auf der sich auch ein Text findet, bei dem Harry Rowohlt Harry Rowohlt liest, ein Bericht über einen Besuch auf der Shannon-Insel ‘Schwimmen-zwei-Vögel’.
Durst und andere dringende Dinge (17,50 Euro) präsentiert weitere kleinere Texte O’Briens, darunter das Drama ‘Faustus Kelly’, daß am 25. Januar 1943 im Abbey Theatre in Dublin uraufgeführt wurde, sowie den Sketch ‘Durst’, in dem Gäste und Wirt einen auf die Polizeistunde insistierenden Beamten schwindlig und durstig sabbeln. Das schafft Harry Rowohlt natürlich ganz alleine, er sabbelt sich selbst schwindlig und ist dabei durstig.

Studienrat sabbelt Amok

Christian Hölbling, Helfried kommt !, Kein & Aber, 16,50 Euro
Gutes Kabarett lebt vom Wiedererkennungswert. Man lacht darüber, daß da jemand ausspricht, was man selber schon oft genug gedacht hat. Nun kennt ja jeder aus eigener leidvoller Erfahrung Lehrer. Und ihre zahlreichen, jeweils ganz eigenen Macken, die sie dann doch bereitwillig den ihnen anvertrauten Eleven offenbaren. Höchst unterhaltsame Macken nennt auch der von Christian Hölbling vorgestellte und 2002 mit dem Prix Pantheon bedachte Oberstudienrat Helfried sein Eigen. Eine Doppelstunde unter dessen Vorsitz hat dankenswerter Weise der schweizer Verlag Kein & Aber auf eine schöne CD gebrannt. Hier werden zwischen Wortmeldungen zu so schönen Themen wie ‘Kinder’ (Helfried: “Ich lehne das ab.”), ‘Tiere’ (Helfried: “Ich lehne das ab.”) oder ‘Sport’ (Helfried: “Ich lehne das ab.”) einige herzallerliebste Liedlein abgesungen, darunter eine hoch poetische Version von “Regentropfen”, in der die unsterblichen Verse “Menschenaffen, die durch dein Fenster gaffen, die sind ein Gruß von mir” eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, die Helfried seiner einstmals erziehungsberechtigten Tante Hedwig widmet. Schöne CD. Unbedingt zur Kenntnis nehmen.

Ganz schwerer Lollimann

Frank Schulz, Morbus Fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien, Eichborn, 34,90 Euro
Ein Buch mit Geschichte: nach langer Verlagssuche von Haffmans angenommen, geht der Verlag in etwa gleichzeitig mit der Auslieferung pleite, was die Erstausgabe wertvoll macht, das hochgelobte Werk jedoch für viel zu lange Zeit in der Konkursmasse verschwinden lässt. Noch bevor Gerd Haffmans bei 2001 die Chance erhält, eine neue Reihe herauszugeben und dabei auch die letzten Neuerscheinungen aus dem Reißwolf zu holen, macht der Eichborn Verlag sich um die Gegenwartsliteratur verdient und wirft die knapp 800 Seiten neu auf den Markt. Herzlichen Glückwunsch dazu. Jetzt worum geht es ? Morbus Fonticuli nimmt die Personen des schon zu Beginn der 90er bei Haffmans erschienenen Romans ‘Kolks blonde Bräute’ (der, so 2001 seine vielversprechenden Pläne ausführt, im Herbst dieses Jahres ebendort wieder ans Licht der Öffentlichkeit treten wird) auf. Die schon im Erstling waltende Erzählhaltung, in der, orientiert am kneipenimmanenten bierschwangeren Plauderton, wird hier weiterentwickelt und perfektioniert – bis auf relativ kurze Rahmenstücke besteht das Buch aus den Tagebuchaufzeichnungen des Bodo Morten, vulgo ‘Mufti’, in denen dann Ereignisse des betreffenden Tages neben solchen stehen, die wiederum in näherer oder fernerer Vergangenheit stattgefunden haben, kurz: beim Lesen purzeln die Zeitebenen aufs Allerliebste durcheinander und man weiß kaum noch, wo oben und unten ist, wann dann und wann ist, es ist herrlich. Jetzt aber mal im Ernst, worum geht es ? Der erwähnte Mufti lebt mit seiner Angetrauten Anita in Hamburg auf der einen Seite der Elbe und sumpft zwischen Wohnung und diversen Kneipen, allwo er Abende gepflegter Gastlichkeit mit diversen Kumpels zu verbringen pflegt, hin und her. Seine, im Prinzip als Nebenjob zum Studium konzipierte, Anstellung bei einem Anzeigenblatt führt ihn tagtäglich auf die andere Seite der Elbe, wo er einige lustige Arbeitskollegen und eine Freundin hat, sowie im Besitz eines ‘Arbeitszimmers’ (vulgo ‘Kabuff’) und größerer Summen Geldes aus den Erlösen eines unter Pseudonym verfassten Bestsellers ist. Alles sehr komplex. Und dann ist Mufti irgendwann weg und wird mit vereinten Kräften gesucht. Töfte. Sofort kaufen und lesen.

Fry für Fortgeschrittene

Stephen Fry, Der Sterne Tennisbälle, Aufbau-Verlag, 20,40 €
Stephen Fry hat in einer ziemlich lustigen Fernsehserie (Black Adder mit Rowan Atkinson in der Hauptrolle) und in einigen Filmen (in Oscar Wilde als ebendieser, in Peter’s Friends als Peter) mitgespielt und einige wirklich witzige Bücher geschrieben. Sein neues Buch passt da nicht so ganz in die Reihe, weil es nicht witzig ist. Aber gut ist es. Da wird ein Halbwüchsiger englicher Ministersprößling von seinem sterbenden Lehrer als Bote für geheime Botschaften der IRA benutzt und dann von der Polizei erwischt, weil ihn Mitschüler bei der Polizei als Dealer anschwärzen. Und weil der zuständige Sachbearbeiter nicht ganz nach Vorschrift handelt, landet ebenjener Ned Maddstone in einer geschlossenen Anstalt irgendwo in der schwedischen Nordsee. Das ist der erste Teil des Buches. Im zweiten freundet er sich mit einem Insassen an, der ebenfalls nicht aus Gesundheitsgründen einsitzt und lernt von diesem alle Weisheit der Welt, oder das, was er dafür hält. Als dieser Freund stirbt, flieht Ned in dessen Sarg und macht sich daran, die Leute, die er für seine Gefangenschaft verantwortlich macht, zu bestrafen. Mit ziemlich perfiden Mitteln und ohne Rücksicht auf Verluste. Das ist nicht lustig, sondern elegant zynisch, und es ist brilliant erzählt. Erfreulich häufig richtig böse, ohne parteiisch zu sein. Ein Buch, das Spaß macht und das sich lohnt.