Der dritte Mann

Frank Goosen, Pink Moon, Eichborn, 19,90 €
Frank Goosen war mal Kabarettist. Und er beteuert bei jeder sich im Rahmen der PR für sein neues Buch bietenden Gelegenheit, daß er auch wieder einer werden wolle. Beizeiten aber gibt er den “brillanten Erzähler männlicher Abgründe”, den “schonungslosen Beobachter einer emotional gestrandeten Existenz” (Waschzettel des Verlags). Drei Romane hat er geschrieben und man merkt ihnen die Entwicklung weg vom Komiker an. Liegen lernen basierte zu großen Teilen auf Versatzstücken seiner Bühnenprogramme, die allein vom seidenen Faden einer Handlung zusammengehalten wurden. Ein Knüller, dank offensiver Werbung und einer hymnischen Besprechung von Thomas Brussig im Spiegel. Bei Pokorny lacht hatte man schon eher das Gefühl, einen als solchen konzipierten Roman zu lesen. Keinen schlechten. Ab und zu gingen Goosen die Pferde durch und es kam Schwung in die Erzählweise. Und jetzt Pink Moon. Kein Anklang mehr an den Duktus des plaudernden Bühnenkomikers. Der sei “zu geschwätzig”.
Alle Goosenschen Protagonisten zeichnen sich durch ihre gepflegte Passivität und ihre Lust am Kontrollverlust aus. Alle drei sind mehr Zuschauer dessen, was mit ihnen passiert als bewußt und willentlich Handelnde. Felix Nowak ist Besitzer des Restaurants Pink Moon, aber er ist dort überflüssig. Also hat er Geld und Zeit. Er hat anstrengende Nachbarn, die ihm in seiner Wohnung auflauern oder ihn telephonisch nach Hause beordern. Er hat Freunde, die ihre Ehekrise in voller Länge vor ihm aufführen. Er hat eine Freundin, die ihn zum Essen in die eigenartige Familie ihrer Schwester schleppt. Und er wehrt sich nicht. Bis er dann zum Schluß reinen Tisch macht. Ohne vorher die Gläser runterzunehmen, so daß er drumherum putzen muß.
Was Liegen lernen zu viel an Kabarett hatte, das fehlt Pink Moon. Man liest, durchaus mit Vergnügen, aber man vergißt so schnell wie Felix Nowak die Namen seiner Stammgäste.

Paul Celan, Die Gedichte. Kommentierte Gesamtausgabe, Suhrkamp, 20 €
Die Todesfuge von Paul Celan hat wohl jeder in der Schule zu sich genommen. Zu Recht. Damit hat es sich dann meistens aber auch. Zu Unrecht. Weil Celan in dem Ruf steht, komplizierte und unverständliche Hochliteratur zu schreiben, die sich nur dazu eignet, philologisch hin und her gedreht zum Thema einer germanistischen Doktorarbeit zu werden. Und wie bei den meisten im Volksmund tradierten Meinungen über Dichter handelt es sich auch hier um ein Vorurteil. Man kann Celan lesen. Ohne Magistergrad oder Staatsexamen. Und mann kann Spaß dabei haben. Wenn man will. Hilfreich ist dabei eine vernünftige Edition, die lesbare Texte und einen brauchbaren Variatnten- und Kommentarapparat miteinander verbindet. Und nicht den Rahmen des Budgets sprengt. Exakt 1000 Seiten umfaßt die von Barbara Wiedemann herausgegebene Sammlung nicht nur der von Celan selbst veröffentlichten, sondern auch der aus dem Nachlaß publizierten Gedichte. Im Taschenbuch, ohne teuren Schweinshodenleder-einband, der die Werkausgabe wie die Speisekarte des Gasthauses “Zum toupierten Hirschen” aussehen läßt. Dafür benutzbar, ohne die Ehrfurcht vor dem an den Rand geschmierten Kommentar oder dem zum schnellen Wiederfinden abgeknickten Seitenrand. Und preisgünstig. Fein.

Schlag zu mit Beltz

Matthias Beltz, Gut/Böse. Gesammelte Untertreibungen, 2 Bände mit einer mp3-CD, 2001, 44,80 €
Es ist ja schon traurig genug, daß Matthias Beltz tot ist und sich von den Nachwuchsdebilen des privatfernsehlichen Comedyenstadls zitieren lassen muß, anstatt sich gebührend über sie lustig zu machen. Da tut es gut zu wissen, daß man ihn jetzt wenigstens lesen kann. Und hören, in gleich zwei Livemittschnitten auf einer mp3-CD. Und praktischerweise sind es ja auch gleich zwei Bücher. Da kann man mit dem einen mit einem gezielten Wurf die 7 Köpfe aus dem Fernseher schmeißen, weil man mit der Fernbedienung grade daneben geschmissen hatte, und man hat das zweite noch in der Hand zum Lesen.

Lehmann previsited

Sven Regener, Neue Vahr Süd, Eichborn, 24,90 €
Es kommt einem ja vor, als wär es erst letzte Tage gewesen, aber es ist tatsächlich schon 3 Jahre her, daß Herr Regener uns mit seinem Romanerstling Herr Lehmann erfreut hat. (Herr Regener war zuvor hauptsächlich bekannt dafür, der Band ‘Element of Crime’ seine Stimme, sein Trompeten und seine Texte zur Verfügung zu stellen. Erfreulicherweise tut er das natürlich immer noch. Aber außerdem schreibt er jetzt alle paar Jahre ein Buch.) Protagonist war erstaunlicherweise Herr Lehmann, der in Berlin hauptsächlich Bier zapft, zwischendurch seinen besten Freund ins Krankenhaus einliefern muß und zum Schluß sympathisch teilnahmslos durch die Euphorie des 9. November 1989 stapft. Um die Verfilmung dieses Stoffs hat sich inzwischen Leander Hausmann verdient gemacht. Und jetzt liefert Sven Regener ein Buch nach, das, wäre es ein Film, unter der Bezeichnung ‘Prequel’ liefe. Es geht wieder um Herrn Lehmann, der aber in den frühen 80er Jahren noch nicht mit dieser Titulierung kämpfen muß, sondern mit vielem anderem. Unter anderem mit seinem Wehrdienst, den er aus Gründen geistiger Unklarheiten zu verweigern vergessen hatte oder mit seinem überstürzten Auszug aus der elterlichen Wohnung, weil der Vater im so freigewordenen Zimmer Fernseher reparieren will und der ihn in eine reichlich abwegige WG von irgendwie diffus linken ehemaligen Klassenkameraden führt. Ein dickes Buch, das vieles erzählt, das an eigene Erlebnisse erinnert, zumeist aber an die Erlebnisse, die einem einer erzählt hat, der einen kennt, dessen Schwager dabei war. Aber das tut der Sache keinen Abbruch, man fühlt sich in dem Buch und damit in der titelgebenden vorstädtischen Betonsiedlung Neue Vahr Süd irgendwie so, als würde man es aus der Westentasche kennen, aber erst als man wieder da ist fällt einem ein, wie viele gute Gründe es für den Vorsatz gab, nie mehr herzukommen. Ähnlich ist es mit dem Erzählduktus: die Lakonik von Herrn Lehmann trifft sich hier mit einer latenten Aggressivität, die aber nie so richtig aufbricht, sondern meist kurz vor dem Höhepunkt in Müdigkeit umschlägt. Ein gutes, spannendes Buch, das viel Aufmerksamkeit und manchmal auch Durchhaltevermögen erfordert. Aber es lohnt sich. Freuen wir uns auf den nächsten Teil, der die Lücke zwischen dem Ende von Neue Vahr Süd und dem Anfang von Herr Lehmann schließen soll.

“Heute war mein Hochzeitstag, aber ich weiß nicht, der wievielte. Meine Frau sagt, der zehnte.”

Samuel Pepys, Die geheimen Tagebücher, hg. v. Volker Kriegel und Roger Willemsen, Eichborn, 29,90 €
Daß auf dem Vorsatzblatt dieser in jeder Hinsicht erfreulichen Ausgabe der ‘geheimen Tagebücher’ von Samuel Pepys neben Volker Kriegel auch Roger Willemsen als Herausgeber firmiert, ist der Tatsache geschuldet, daß Volker Kriegel im Juni 2003 verstorben ist. Daß es dieses Buch, an dem er lange und freudig gearbeitet hat, trotzdem gibt, ist neben Willemsen der Witwe Ev Kriegel und den zahlreichen Zeichnern (u.a. FW Bernstein, Robert Gernhardt, Bernd Pfarr, Michael Sowa und FK Wächter) zu danken.
Samuel Pepys war Mitglied der englischen Marine und der höheren Bürgerschicht, bis heute bekannt aber ist er für seine Tagebücher, die er in einer Art Privatcode notierte, der erst 1825 soweit entschlüsselt war, daß eine erste Ausgabe möglich war. Nun mag es verwundern, daß sich jemand die Mühe macht, fremder Leute Tagebücher nicht nur zu lesen, sondern sie davor noch mühsam zu entschlüsseln. Zum Teil mag das an der Hoffnung gelegen haben, wertvolle historische Schlüsse zu gewinnen, für den heutigen Leser aber liegt der hauptsächliche Reiz in der Art und Weise, in der Pepys seine Zeit und seine Landsleute, aber auch sich selbst präsentiert und auf den Arm nimmt. Das erinnert in der Übersetzung von Georg Deggerich zuweilen an die Sudelbücher Georg Christoph Lichtenbergs und macht die Lektüre über weite Strecken zu einem erfreulichen Erlebnis. Ebenso erfreulich sind die Illustrationen, die Freunde und Bewunderer Kriegels geliefert haben, so daß es sich hier nicht nur um ein Denkmal für Samuel Pepys handelt, sondern ebenso um eines für Volker Kriegel.