William Shakespeare, The Sonnets, hg.v. R. Borgmeier u. M. Hanke, Reclam Verlag 2006, 4,80 €
Wer überhaupt schon mal etwas von Shakespeares Sonetten gehört hat – zumeist in schulischem
Kontext – wird sich an die strittige Frage nach der Identität des Widmungsträgers und – für
Pubertierende deutlich spannender – der dark lady erinnern. In dieser Hinsicht macht Michael
Hanke in seinem Nachwort eine äußerst zutreffende Feststellung: „Zum Verständnis der Sonette
trägt dieser biografisch-historische Zweig der Shakespeare-Forschung nur wenig bei.“ (S. 179)
Soweit korrekt. Es fragt sich allerdings, warum er diese Einsicht erst äußert, nachdem er auf über
zwei Seiten eben diese Spekulationen ausgeführt hat.
Diese neue Ausgabe – die dritte Variante im Angebot des Reclam-Verlages – enthält die Sonette im
Originaltext sowie Erläuterungen zur Übersetzung einzelner Worte oder Phrasen und eignet sich
damit wohl vor allem für die schulische Verwendung. Ob dafür allerdings die angegebene Referenz
(„Das Glossar erklärt in der Regel alle Wörter, die nicht in Reclams Englischem Wörterbuch von
Dieter Hamblock (Stuttgart: Reclam, 1996) enthalten sind.“ S. 165) besonders geeignet ist, kann
bezweifelt werden.
Für die private Lektüre besser geeignet ist die ebenfalls Raimund Borgmeier herausgegebene
Ausgabe, die neben dem englischen Text Übersetzungen aus unterschiedlichen Zeiten enthält und
damit zusätzlich zur Übersetzung des jeweiligen Sonetts auch einen Überblick über die Geschichte
der Shakespeareübersetzung bietet.

Baskisch bei Buske

Christiane Bendel, Baskische Grammatik, Helmut Buske Verlag 2006, 29,80€.

Lehrwerke für Minderheitensprachen zu veröffentlichen ist für einen Verlag nicht nur ein wirtschaftliches Risiko, es ist für einen renomierten Fachverlag wie Buske auch ein akademisches Risiko, denn es gibt kaum Vorbilder, es gibt weniger sprachpflegerisch-akademischen Kontext und daher mehr grammatische Zweifelsfälle und es gibt wenige potentielle Korrekturleser. Dagegen tendiert die Anzahl potentieller Kritiker gegen unendlich. Verlag und Autorin haben diese Herausforderungen summa cum laude bestanden. Die vorgelegte Grammatik ist umfassend und systematisch. Es gelingt der Autorin auch die komplexesten Sachverhalte knapp und dennoch klar darzustellen. Der Index ist sehr gut angelegt. Synthetische Verbformen sind nicht in sämtlichen Formen katalogisiert, aber alle grammatischen Phänomene, vor allem die aus deutscher Sicht eher ungewöhnlichen, werden umfassend behandelt. Möge Frau Bendels Wunsch, “dass die Benutzer dieser Grammatik meine Faszination teilen können, die diese in sich logische, mathematisch anmutende Sprache auf mich ausübt” in Erfüllung gehen. Sie selbst hat ihr bestes dazu getan. Druckqualität und Bindung sind hervorragend. Beim Korrekturlesen mag es einige kleinere Aussetzer gegeben haben, die sich vielleicht in der nächsten Auflage beheben lassen. Auf S. 8 wird die API-Umschrift für die durch die Buchstaben s und z repräsentierten Phoneme angegeben; die auf den S. 9-11 gegebenen lautschriftlichen Beispiele stehen dazu allerdings im Widerspruch. Das scheint eine Serie von Druckfehlern zu sein, denn wenn es sich durchweg um Ausnahmen handelt sind die Beispiele schlecht gewählt und hätten, wenn sie denn benutzt werden müssen, als Sonderfälle markiert werden sollen. Und inwiefern izpi (”Lichtstrahl”) eine onomatopoetische Nachahmung eines Naturgeräusches (des Lichtstrahls ?) ist (S. 195) leuchtet mir nicht ganz ein. Aber das mindert die Pionierleistung des Helmut Buske Verlages nicht.

Jetzt mal was ganz anderes: Ein ziemlich dummer Satz steht schon in diesem Buch, und das ist ausgerechten der erste: “Die baskische Sprache ist eine der ältesten Sprachen Europas.” Wird gerne so dahingesagt, abba wat soll dat denn heissen? Wie bemisst sich das Alter einer Sprache? Als schriftlich belegte Sprache ist Baskisch eine der jüngsten in Europa. Zugegeben, die Vorfahren der Basken vor 5000 Jahren werden (vermutlich, denn beweisen lässt sich das nicht) eine Vorform des Baskischen gesprochen haben. Aber die Vorfahren der Spanier haben auch eine Vorform des Spanischen gesprochen. Die Vorform war natürlich nicht spanisch im engeren Sinne. Aber genauso wenig war die Vorform des Baskischen im engeren Sinne baskisch. Zwar hat sich die Sprachfamilie, zu der Spanisch zählt, weiter aufgefächert als Baskisch, das quasi allein dasteht. Das heisst aber nicht, dass die Entwicklung im Falle des Baskischen gradliniger abgelaufen ist als im Falle des Spanischen oder dass das heutige Baskisch größere Ähnlichkeit mit dem Proto-Vaskonischen von vor 5000 Jahren hat als das Spanische mit dem Proto-Indogermanischen aus der gleichen Periode. Im Falle des Indogermanischen haben die Umstände der Vorgeschichte dazu geführt, dass die Nachfolgeformen sich in hunderte unterschiedliche Richtungen vom Ur-Indogermanischen wegentwickelt haben, während sich das Baskische nur in einer Generalrichtung vom Proto-Vaskonischen wegentwickeln konnte, was aber nicht heisst dass es sich weniger weit wegentwickelt hat. Das vermeintlich steinzeitliche Lexem haitz in Ehren, aber auch am Baskischen ist ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Jede Sprache Europas und der Welt hat ihre jeweiligen Proto-Formen zu jedem beliebigen Zeitpunkt, und auch Ur-indogermanisch und Proto-Vaskonisch sind ja nur vergleichsweise neue Entwicklungen aus noch viel früheren Formem. Für Sprachen gibt es keine Radiokarbondatierung. Die Rede vom Alter einer Sprache ist nur metaphorisch. Alle Sprachen sind gleich alt, sofern sie nicht entweder künstlich konstruiert oder vom Himmel gefallen sind. Eines lässt sich vielleicht über das Baskische sagen, nämlich dass es schon länger vor Ort ist. Aber das ist ja nicht dasselbe wie älter. Unter mehreren Personen in einem Raum ist ja auch nicht unbedingt die die älteste, die sich schon am längstem im Raum aufhält.

Gwzwrtnis da wprtchilobt.

Lia Abuladze/Andreas Ludden, Lehrbuch der georgischen Sprache, Helmut Buske Verlag 2006, 34,80€.

Für Lehr- und Wörterbücher in Sprachen die jenseits des Tellerrands von Langenscheidt, Pons & Co. liegen war der Buske-Verlag immer schon die erste Adresse. Mit dem vorliegenden Lehrbuch ergänzt der Verlag sein Programm für diese alte Kultursprache: Eine Grammatik der altgeorgischen Sprache lag schon länger vor; Heinz Fähnrichs und Surab Sardshweladses von Buske herausgegebenes Altgeorgisch-deutsches Wörterbuch war bis zum Erscheinen des wesentlich umfangreicheren Wörterbuchs aus der Reihe Handbook of Oriental Studies in gleicher Autorschaft und unter gleichem Titel das Standardwerk. Ein Wörtbuch Deutsch-Georgisch/Georgisch-Deutsch erschien 2001. Nun endlich ist auch dieses Lehrbuch des zeitgenössischen Georgisch erschienen.
Ein methodisches Problem, mit dem sich jeder Sprachlehrbuchautor herumschlagen muss, ist die angemessene Kombination von didaktischer und systematischer Darstellung. Die übliche Vorgehensweise ist, grammatische Phänomene schrittweise pro Lektion einzuführen und an Übungstexten zu illustrieren, was jedoch oft zu reichlich absurden, etwa ganz im Optativ Plusquamperfekt Passiv gehaltenen, Texten führt. Das vorliegende Buch vermeidet diese Auswüchse durch eine formale Trennung von didaktischem und systematischem Teil. Die Lektionen selbst sind von Vokabelerklärungen und grammatischen Anmerkungen begleitet und Übungen (inkl. Lösungsschlüssel) festigen die Lerninhalte. Das Buch enthält aber unabhängig davon eine komplette Kompaktgrammatik die alle Phänomene systematisch abhandelt. Das hochkomplexe georgische Verbalparadigma wird mit umfangreichen Konjugationstabellen illustriert. Das georgisch-deutsche Glossar im Anhang bietet die Bedeutung sämtlicher Vokabeln in alphabetischer Ordnung. CDs mit gesprochenen Lektionstexten sind seperat erhältlich. Theoretisch ist damit alles geliefert, was zum autodidaktischen Lernen erforderlich ist. Angesichts der Komplexität der Materie und der überaus nüchternen Gestaltung des Buches erfordert das allerdings extrem viel Motivation und gründliche linguistische Vorkenntnisse. Ob es didaktisch klug ist jeden Lektionstext in auch in Übersetzung abzudrucken sei dahingestellt, aber schaden kann es wahrscheinlich auch nicht. Dieses Buch ist das erste Lehrwerk, das ich in die Finger gekriegt habe und das ausdrücklich angibt welchen Kompetenzgrad im Sinne des Common European Framework (CEF) der Lerner nach Durcharbeitung des Stoffes erreichen kann, nämlich in diesem Fall B1. Das ist sehr viel, wesentlich mehr als nur Hallo – Bitte – Danke – Ja – Nein, das ist schon fließendes Georgisch auf hohem Niveau. Als einbändige Kombination von Lehrbuch, Grammatik und Georgisch-Deutschem Wörterbuch ist dieses Lehrwerk nicht nur auf dem deutschsprachigen Markt einmalig und zu diesem Preis ein echtes Schnäppchen. Kleines Manko: Der systematische Grammatikteil wäre mit detailierterem Index noch besser, dann könnte man z.B. “Negation” oder “transitiv” suchen und auch sofort finden.

Smuggling Unconcious Ninja Turtles

Hans Thill (Hg.), Vorwärts, ihr Kampfschildkröten. Gedichte aus der Ukraine, Wunderhorn 2006, 19,90 €
Aurélie Maurin/Thomas Wohlfahrt (Hg.), VERSschmuggel VÉARSaistear, Wunderhorn/Cló Iar-Chonnachta 2006, 19,90 €

Die ukrainischen “Kampfschildkröten” erscheinen als achtzehnter Band in der hervorragenden Reihe “Poesie der Nachbarn”, die mittlerweile von Wunderhorn herrausgegeben und dort noch besser betreut wird als zuvor bei der edition die horen. Auf den ersten Blick scheint es sich beim “Versschmuggel” um dasselbe in grünem Einband und von der grünen Insel zu handeln. Beides zweisprachige Gedichtanthologien, beide im Rahmen von internationalen Workshops auf der Grundlage von Interlinearübersetzungen nachgedichtet; jeweils sechs ukrainischen/irischen Dichter(inne)n sechs deutschsprachige Nachdichter(innen) zur Seite gestellt… Und trotzdem hat jede dieser beiden Veröffentlichungen einen jeweils ganz eigenen Charakter. Beim “Versschmuggel” wurden Dichter(innen) beider Sprachräume paarweise zusammengestellt (von wem wird uns leider nicht verraten, das würde wohl sonst die editorische Fiktion untergraben, hier werde ein Experiment dokumentiert, das ohne Einmischung seitens der Herrausgeber seiner eigenen Dynamik gefolgt sei) und übersetzten sich dann gegenseitig. Das Buch (inklusive 2 CDs) erschien dann simultan in Irland und in Deutschland. Die “Kampfschildkröten” andererseits sind auf ein ausschließlich deutsches Lesepublikum zugeschnitten und die Übersetzungstätigkeit erfolgte nur in eine Richtung. Dabei durfte dann aber auch jeder jeden übersetzen, auch wenn das hieß, dass manchen Gedichten zwei oder drei (gelegentlich auch widersprüchliche) Nachdichtungen gegeübergestellt wurden. Dadurch wird in diesem Band der Übersetzungsprozess selbst zwischen den Zeilen hinterfragt und Übersetzbarkeit an sich infragegestellt. Ein Geniestreich sind die Collagen von Herta Müller, in denen zerschnippelte Interlinearübersetzungen willkürlich neu zusammengesetzt werden und so das Wort als unsemantische Materie vergegenständlicht wird. Sowohl Austattung als auch Inhalt laden zum stundenlangen Schmökern ein. Mag sein, dass der Rest der Welt die Ukraine nur marginal wahrnimmt, aber das beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Jurij Andruchowytsch ist fasziniert von amerikanischer Alltagskultur und betitelt seine Gedichte meist auf englisch, gelegentlich auch auf deutsch; Emma Andijewska besingt die ligurische Küste; Natalka Bilozerkiwez besingt eine Nixe; Andrij Bondar befasst sich mit polnischer Stalingrafitti, Oleh Lyscheha mit chinesischer Philosophie, und Serhij Zhadan mit Hamburger Nutten. Man weiß garnicht, was man ohne ukrainische Dichtung alles verpasst. Unter den Übersetzern sind besonders Herta Müller und Joachim Sartorius lobend hervorzuheben.
Der “Versschmuggel” ist insgesamt weniger erfolgreich. Einige der Paarungen sind ziemlich inkohärent. Mirko Bonné ist von Nuala Ní Dhomhnaills hintergründigen Ent- und Remythologisierungen der komplexen gälischen Tradition intellektuell, emotional und handwerklich überfordert und der arglose deutsche Leser würde anhand seiner Versionen nie darauf kommen, dass er es in Ní Dhomhnaill mit einer der weltbesten lebenden Dichterinnen zu tun hat. Monika Rinck hingegen ist ihrem “Partner” Gréagóir Ó Dúill klar überlegen und lässt seine mittelmäßigen Verse besser aussehen, als sie von Hause aus sind. Cathal Ó Searcaighs Übersetzungen von Maja Haderlaps Gedichten sind fasst doppelt so lang wie die Originale, man denkt: da stimmt doch was nich, aber in diesem Fall ist das paradoxerweise gerade ein Qualitätsmerkmal: Ó Searcaigh hat sich die Zeilen seiner “Partnerin” so zu Herzen genommen, dass er nicht umhin kann, sie kreativ weiterzuspinnen. Michael Davitt und Barbara Köhler verstehen einander gerade in ihrer Verschiedenheit ganz gut. Auch die Zusammenarbeit von Biddy Jenkinson und Dorothea Grünzweig (interessanterweise beide wohnhaft in Finnland) ist gelungen. Besonders schön ist das zu sehen am Beispiel von Grünzweigs “Glasstimmen Lasinäänet”, das gerade den Raum zwischen den Sprachen thematisiert. Gabriel Rosenstocks und Armin Sensers gegenseitige Übersetzungen haben ihre Schwächen, aber dafür ist ihre Performance auf der mitgelieferten CD sehr unterhaltsam. Im Ganzen scheint mir, dass der irischsprachige Leser bei diesem Band besser wegkommt als der deutschsprachige. Die irischen Originalbeiträge sind durchweg besser als die deutschen (obwohl Dorothea Grünzweig wirklich bemerkenswert ist) und bei den Übersetzungen schaffen insbesondere Ó Searcaigh (s.o.) und Rosenstock Mehrwert (So erfahren wir z.B. aus Gabriel Rosenstocks ausufernder Neudichtung von Sensers “Großem Erwachen”, dass Cathal Ó Searcaigh das Wort “das Unbewusste” nicht gerne hat. Das war Armin Senser selber unbewusst, steht aber jetzt in der Übersetzung).
Soviel dazu. Wo Sie das alles jetzt gelesen haben kann ich vielleicht noch einen Ratschlag von Jurij Andruchowytsch an Sie weitergeben: Sie können den Computer jetzt ausschalten.

“Mann, Herr Evers.”

Horst Evers, Die Welt ist nicht immer Freitag, rororo 2006, 7,90 €
Wer ist bei rororo eigentlich für die Klappentexte zuständig? Scheinbar jemand, der nicht mit Metaphern umgehen kann: “Sein Universum ist ein Netz an Arbeitsvermeidungsstrategien, in das immer wieder unerwartet Meteoriten einbrechen.” Haha, wird sich der Autor dieses Sätzleins gedacht haben, da ist mir aber mal was Feines eingefallen, ich nehm einfach die Metapher Universum auf und schreibe sie mit den Meteoriten fort. Da sieht man dann wenigstens, daß meine 15 Redaktionspraktika und Volontariate sich gelohnt haben. Aber, ach je, so ist das mit den guten Ideen und der Syntax: Daß Meteoriten in ein Universum einbrechen, ist zwar auch Quatsch, aber der läßt sich mit einigem guten Willen wenigstens mit dem gemeinsamen Bildspendebereich rechtfertigen. Nun bezieht sich das in das, das den Nebensatz einleitet, aber leider nicht auf das Universum, sondern auf das Netz. Meteoriten also, die in ein Netz einbrechen. So ein Unsinn.
Aber das Buch ist gut.